Markus Gull

Zehn Fragen mit denen du erkennst, ob dein Anliegen wirklich (d)ein Anliegen ist.

Eine aktuelle Studie aus meinem hauseigenen unwissenschaftlichen Schaffen hat ergeben, dass der durchschnittliche Mensch im Laufe seines Lebens deutlich mehr Bullshit produziert als der durchschnittliche Bulle im Laufe des seinen, nur halt aus einem anderen Portal serviert. Letzteren kann man immerhin in der Landwirtschaft als Dünger verwenden. Ersteren findet man hingegen in allen Bereichen der Wirtschaft wieder, aber längst nicht nur dort. Und was darauf wächst, ist im besten Falle Unkraut, tatsächlich aber wieder Bullshit.


ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!


Ein besonders weites Feld, auf dem der Un-Dung mit beiden Händen beherzt und reichlich ausgebracht wird, ist verlässlich Marketing/Werbung/Kommunikation und alles, was an dieses Feld angrenzt und gleich mitbeackert wird, wenn man schon einmal draußen ist an der guten alten frischen Luft: Innovation, CSR, HR, Change Management, Leadership – you get the idea. Weh dem, der pflügt …

Das Fatale am Bullshitten ist unter anderem, dass als Kollateralshitten prinzipiell gute, kluge und sinnvolle Dinge in herzzerreißender Dummheit zerstört werden und gleichzeitig jene, die damit artgerecht umgehen, plötzlich zu miachtln beginnen, wie man in Wien jene Art von Gestank nennt, die sich aus einer Melange aus Ausdünstungen unterschiedlichster Quellen zusammen- und hartnäckig in Kleidern, Sofabezügen und Wanddekor festsetzt.

Womit wir beim Themenkreis „Meaning, Purpose & Why“ sind, das heutzutage jeder zu finden aufgefordert wird. Das Why, das gute, das mittlerweile von so vielen Spezialisten ge- und erfunden wurde, dass der wunderbare Simon Sinek vermutlich bald selbst nicht mehr weiß, dass es im Herzen seines Golden Circle prangt, den er im September 2009 via TED in die Welt entließ, wo ihn mittlerweile knapp sieben Millionen Menschen betrachtet und ein paar von ihnen sogar auch verstanden haben.

Sinnsuche? Wo denn?

„Finde deine Bestimmung!“, schallt der berechtigte Weckruf der Menschheit entgegen. Unternehmen, Unternehmer, Um-, Aus und Einsteigerinnen, Sinnsucher, Marken und ihre Macher – alle sind auf der Suche nach ihrem übergeordneten Anliegen, mit dem sie in geistiger Nachfolge von Steve Jobs Postulat „We’re here to put a dent in the universe“ das bekommen wollen, was uns Menschen treibt: Relevanz.

Das ist gut.
Das ist richtig.
Das ist nötig.

Relevanz fehlt nämlich ganz vielen von uns. Das ist für mich mit ein Grund für die überbordende Gier nach Ablenkung, die Sucht nach Selbstdarstellung in den sozialen Medien, für die rasant zunehmende Fragmentierung unserer Gesellschaften, für das metastasierende Gegeneinander, das Zusammenrotten in ungesunden Tribes, für die wuchernde Hochblüte von Egoismus, Ignoranz & Empathielosigkeit und die Sistierung der einfachsten Grundregeln des Zusammenlebens.

Fehlende Relevanz nimmt dem Menschen einen wesentlichen Wurzel-Ast seines Menschseins, raubt ihm die Würde und löst den Infantilitätsreflex aus: kreischen, stampfen und auf dem Boden wälzen, etwas kaputt schlagen, ohne an die Konsequenzen zu denken, Hauptsache, man wird nicht mehr überhört. Hauptsache, irgendwas ist nicht mehr.

Das ist keine Frage des Bildungsniveaus, denn das – so scheint’s – gibt’s sowieso kaum noch. Das ist eine Frage des Herzensbildungsniveaus, und das, so scheint’s, ist obdachlos.

„Finde deine Bestimmung“, also? Ein guter Rat, aber viele wissen gar nicht, wo sie suchen sollen. Darum schnüffeln sie einmal an der Oberfläche, sehen draußen nach, bemerken, was schnell wirkt, also Reaktionen auslöst, und stellen sich halt auch dazu. Am Rahmen festhalten, das Offensichtliche eben auch sehen, wird schon schiefgehen. Tut’s dann auch.

Alles wird vermutlich noch schlimmer, wenn durch die digitale Transformation plötzlich ziemlich viele Menschen, die schon jetzt in ihrem Berufsleben keine Relevanz verspüren, es dann auch bemerken, weil sie in Tat und Wahrheit keine Relevanz mehr haben, denn ihr Job ist weg. Der ungeliebte Job zumal, aber immerhin ein Job. Der Zeittotschläger mit dem Scheinheiligenschein von Relevanz, wenn auch nur als Kostenstelle auf der Humankapital-Liste und somit nunmehr frisch gestrichen.

Dass sich hier etwas tut, ist sowieso mehr als nötig: Not-wendig.

Die Welt verändern? Wie denn?

Kaum bekommt das Thema „Bestimmung“ Momentum, wird es auch schon in alle möglichen Richtung gespinned, geframed und gewirbelt, dass einem schon vom Wegschauen schwindlig wird.

Der Schwindel setzt bereits beim Satz „Verändere die Welt, du hast die Kraft dazu!“ ein, der nicht richtiger wird, wenn ihn jeder nachquatscht und variantenreich auf Instagram postet, als hätte er ihn selbst erfunden. Erstens hat nämlich schlicht und einfach nicht jeder die Kraft dazu, und zweitens ist allein mit der Veränderung der Welt noch nicht viel gewonnen, weil auch Typen wie Osama bin Laden und Adolf Hitler die Kraft zur Weltveränderung haben und nicht nur Greta Thunberg und Rosa Parks.

„Finde dein Warum!“ ist, wenn auch ebenfalls inflationär, schon besser: Damit schauen wir nämlich zuerst einmal nach innen, was rein methodisch wesentlich sinnvoller ist, als sich am Effekt hochzuranken. Aber ohne Gewähr, dass das, was man dort findet, sinnvoll und nützlich ist, nur weil man es gefunden hat, siehe Adolf und Osama, die beide unter Garantie ihr Why hatten und die Überzeugung dazu, dass es in die Welt gebracht werden muss.

Womit wir wieder beim Stichwort Herzensbildung wären. Irgendwie kommt man einfach auf keinen grünen Zweig, wie’s aussieht.
Oder vielleicht doch.

Nämlich dann, wenn wir einen einfachen Gedanken zum Brain-Tattoo erheben: Mensch sein heißt für etwas sein, und zwar füreinander, nicht gegen etwas und gegen jemanden. Miteinander reicht noch nicht: füreinander! Wir Menschen sind soziale Wesen, die Zugehörigkeit brauchen und Gemeinschaft suchen. Gemeinschaft entsteht, wenn jeder etwas einbringt, weil man eben etwas einbringt, egal ob man im direkten Effekt etwas davon hat.

Womit wir nun endlich bei „Purpose für Marken und Unternehmen“ gelandet sind. Das ist direkt in der Brandstory angewachsen, die auf keinen Fall in der Marketing- oder PR-Abteilung entstehen soll, sondern in der Unternehmensführung bzw. bei der Unternehmensgründung.

Deshalb mein erster dringender Rat: Wenn deine Brandstory von der Marketingabteilung gebastelt oder gar dein CSR-Programm dort entwickelt wird: sofort ändern! Jetzt! Und zwar noch bevor du hier weiterliest!

Purpose? Woher denn?

Für euch also, die ihr als Leserinnen und Leser noch verblieben seid: Wie bekommt man so etwas wie einen Purpose ins Unternehmen, wenn man keinen hat?

Meiner Erfahrung nach hat jedes Unternehmen ein übergeordnetes Anliegen, einen tieferen Auftrag, seine Bedeutung im weiteren Sinn. Viele Unternehmen haben ihren Purpose nur noch nicht entdeckt oder aus den Augen verloren oder verwechseln ihn mit dem, was sie tun und wie sie es tun, weil das Konkrete eben konkret ist und so alle sehen, worüber gesprochen wird, aber nicht, was gemeint ist. Wie sagt man in Kalau: „Unter Fantasie können sich die meisten Menschen nichts vorstellen …“

Bei manchen Unternehmen ist das Anliegen leichter zu finden, bei anderen verstellen Alltagsthemen, Marketinggerümpel und Zahlenkolonnen aus Quartalsberichten die Sicht darauf. Da muss man schon allerlei aus dem Weg schaffen.

Oft braucht es zuerst einen intensiven Unlearning-Schub.

Purpose ist nämlich kein Hebel, um den Umsatz schnell nach oben zu treiben, sondern vor allem einmal eine Haltung für die Führung des Unternehmens. Unlearning-Aufgabe Nummer 1: Die zentrale Aufgabe eines Unternehmens ist nicht, Geld zu machen, Marktführer zu sein, Marktanteile zu steigern, oder Gewinne bzw. Aktienkurse in lichte Höhen zu treiben. Das sind durchaus erwünschte Ergebnisse, aber keine Unternehmensziele, sondern, als solche verstanden, brandgefährliche Irrwege. Dass die Umsatzzahlen in Purpose-geführten Unternehmen nach oben gehen, ist dennoch alles andere als eine Seltenheit; dass sie beständig hoch bleiben, schon gar nicht.

Die wahre Wirkung einer konsequenten unbeugsamen Führung über den Purpose wird in Zeiten von Umbruch und Krise spürbar, wenn Unternehmen mit einem starken Anliegen, Veränderungen von Rahmenbedingungen, von gesellschaftlichen Paradigmen, von Technologien oder des gesamten Marktumfeldes dank ihrer stabilen Elastizität mehr als nur abwettern, sondern auf der Welle der Veränderung sogar zu neuen Höhen surfen, weil sie resilient sind. Nicht die Methode entscheidet, nicht das Geschäftsmodell, sondern der Nutzen und die Vision sind der Unternehmensgegenstand.

Kodak-Moment? Warum denn?

Das Beispiel Kodak illustriert in finsteren Farben, dass richtig was passiert, wenn das Falsche passiert. Seit der Gründung im Jahre 1888 beherrschte Kodak den Foto-Markt: Kamera, Film, Dunkelkammergeräte, Chemikalien, Fotopapier … Getragen wurde das Unternehmen vom Purpose des Gründers George Eastman, der die komplizierte, aufwändige Kunst der Fotografie aus der geschlossenen Profi-Ecke herausholen und so vereinfachen wollte, dass möglichst jeder Mensch damit umgehen konnte und so seine besonderen Momente in eigener bildlicher Erinnerung aufbewahren konnte. Der in der Werbung verwendete Begriff „Kodak-Moment“ hielt in die Alltagssprache Einzug, als Synonym für Erlebnisse, die man niemals vergessen wird.

Kodak erlebte einen solchen besonderen Moment selbst, als Ausgangspunkt einer Tragödie, einer Heldenreise im Retourgang. Steven J. Sasson, ein Mitarbeiter des Unternehmens, baute nämlich bereits 1974 die erste Digitalkamera der Welt. Aber viele im Unternehmen wehrten sich gegen diese Erfindung, weil sie ihr angestammtes Business-Modell angriff. Digitalfotografie wurde verworfen, das Feld anderen Playern überlassen. Hätte man sich an den Purpose erinnert, wäre die Welt eine andere geworden. Kodak verdiente an der Erfindung über die Verwertung seiner Patente zwar noch einige Jahre prächtig, der Rest ist Geschichte. Sie endete 2012 mit dem Bankrott. Heute hängt das Kodak-Logo an der Tür eines relativ kleinen Unternehmens, das Analog-Produkte für Profifotografen anbietet. Kodak hat sich also selbst vor die Anfänge von George Eastman zurückgeschleudert, und ob dort noch so etwas wie ein Purpose herumliegt, ist schwer zu sagen und vielleicht auch wurscht.

Eines der innovativsten Unternehmen der Welt, eines, das seinen Markt beherrschte, ein weltweit agierender Milliardenkonzern, verschlief die eigene Innovationskraft, weil Zahlenkolonnen den Blick auf das Anliegen, auf den Unternehmensgegenstand vernebelten. Bei Kodak kannte man die kraftvolle, facettenreiche Bedeutung der eigenen Story nicht. Man hat dort nicht wirklich verstanden, in welchem Business Kodak ist. Wer nämlich nur Filme produziert, produziert genau so lange Filme, bis sie keiner mehr braucht. Das ist dann genau der Moment, in dem der Kodak-Moment vorbei ist. Wer aber im „Wir machen es für alle mega-einfach, ihre kostbare Erinnerungen für immer zu bewahren“-Business ist, und das nicht nur als Werbeplattform, sondern als Anliegen, also als Story des Unternehmens versteht, der wird in der Geschichte der Company ein aufregendes Kapitel nach dem anderen erleben, und Kodak hätte uns heute vielleicht bereits gezeigt, was nach der Digitalfotografie angesagt ist.

Eine kraftvolle Vision erkennst du übrigens daran, dass sie nach menschlichem Ermessen niemals vollständig verwirklicht wird.
Wie bitte?
Ja! — Genau das ist ihre Magie!
Denn würde sie jemals zur Wirklichkeit, wäre sie keine Vision, sondern ein Wunsch oder ein Ziel. Wenn ein Ziel aber erreicht ist, bleibt nichts mehr übrig, oder? Doch dazu später mehr, zuerst ein kurzer Ausflug ins Creative Writing.

Backstory? Wozu denn?

Im fiktionalen Schreiben tut man gut daran, seine Charaktere mit einer reichhaltigen Backstory auszustatten. Wenn du weißt, was eine Figur erlebt hat, bevor die Geschichte beginnt, dann ist ihr gesamtes heutiges Verhalten stark und konsistent motiviert, ihre Entscheidungen sind von einer intrinsischen Logik getragen, und ihr Handeln ist im Augenblick zwar nicht vorhersehbar, im Rückblick allerdings konsequent entwickelt, egal wie ungewöhnlich die Situation auch sein mag.

Wenn du ein Lehrstück zu diesem Thema sehen willst, dann schau dir die TV-Serie „This is us“ von Dan Fogelman auf Amazon an. Das ist eine wunderbare Familiengeschichte über Menschen, die sich abmühen, ein anständiges Leben zu führen und dabei immer wieder über sich selbst, ihre Wünsche, Ansprüche, Hoffnungen und Beschädigungen stolpern; und gleichzeitig ist „This is us“ durch seine besondere Erzähltechnik zwischen verwobenen Zeitebenen ein Kunstwerk in Sachen TV-Unterhaltung mit besonderem Nährwert und hohem Suchtpotenzial. Ansehen!

Anliegen

Auf der Suche nach dem Purpose, der tiefen Motivation für ein Unternehmen, eine Marke, eine Organisation oder eben auch einer Person führt der beste Weg ebenfalls zurück in die Backstory, um dir zwei Fragen schlüssig zu beantworten:

  1. Was ist die Ur-Sache für das, was man tut?
  2. Was war der Beweg-Grund für das, was man tut?

Hier zündet der Funke des Gründungstraumes.

Die Ur-Sache hat meistens mit den frühen Lebensumständen und Erfahrungen der Unternehmensgründer zu tun.

Walt Disney zum Beispiel hatte keine erfreuliche Kindheit und fand im Zeichnen eine eskapistische Methode, dank der er auf den Flügeln seiner Fantasie in bessere Welten entfliehen konnte, und so seine Ur-Sehnsucht stillte. Der Rest ist Geschichte.

Steve Jobs’ und Steve Wozniaks Jugend war geprägt von den Zeiten des Vietnamkrieges und vom Ur-Misstrauen gegen Machthaber, Establishment und Big-Brother-Zustände. Es ist also kein großes Wunder, dass die starke Motivation hinter der Marke Apple die Ermächtigung des Einzelnen zur Verwirklichung seiner eigenen Ziele auch gegen bislang unbezwingbare Gegner war und noch immer ist. Das kann man heute mitunter noch erkennen, zum Beispiel in der restriktiven Haltung von Apple in der Frage des Datenweitergabe an Behörden.

Verteilen? Was denn?

Der Beweggrund hat viel mit unserem menschlichen Bedürfnis zu tun, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse zu teilen. Wir sind von Bauart und Betriebssystem her soziale Wesen und können ohne Bezug mit und zu Gruppen nicht gesund überleben. Wir brauchen Anerkennung und Zugehörigkeit, wir haben den Drang des Schaffens in uns, wir wollen wachsen. In manchen Menschen ist dieser Drang so stark, dass er bis zur Gründung eines Weltkonzernes führt, in anderen bleibt die Übersetzung im Rahmen der eigenen vier Wände. Sei’s drum – alles ist gut.

Allzu oft wird unser urmenschlicher Sozial-, Schöpfer- und Wachstumsdrang jedoch zurückgestutzt, unterdrückt, systematisiert und verbogen. Spätestens am ersten Schultag fällt der Startschuss zum Beginn des Martyriums, in dem man aktive, kreative, unternehmerische junge Menschen durch die Mangel dreht und irgendwann am Ende als Humankapital wieder ausspuckt. Das Ergebnis sind von ihrem Inneren heraus vergiftete Menschen, deren Verdruss jeden Morgen an den Straßenbahn-Haltestellen dieser Welt zu besichtigen ist, während immer mehr von ihnen auf dem Weg zum Dienst nach Vorschrift Podcasts aus der „Finde deine Bestimmung!“-Rubrik anhören.

Manchen von ihnen reicht’s dann. Ein Inciting Incident löst etwas aus, und dann wird aus dem „Eigentlich müsste man …“ und dem „Wäre es nicht großartig, wenn?“ ein „Ich mache jetzt!“. Irgendetwas lässt sich nicht mehr zurückhalten und treibt sie zu einem schmerzhaften Vorgang namens Veränderung. Es ist der Augenblick, in dem der Stillstand am Standpunkt noch schmerzhafter ist als der mutige Sprung ins Ungewisse. Dieser Sprung kann ins Auge der Geschichte gehen.

Wenn’s aber gut geht, dann entzündet sich in diesem Augenblick, in dem du den Leap of Faith  wagst, der Zeugungsfunke, in dem der Gründungstraum seinen ersten Atemzug in der Wirklichkeit tut.

Die Ur-Sache.
Der Beweg-Grund.

In diesen beiden Kapiteln der Backstory findest du auch den Keim deines Anliegens, den Purpose deines Unternehmens und deiner Marke.

Wie kannst du sicher sein, ob es das Anliegen wirklich (d)ein Anliegen ist?
Gar nicht.
Aber es gibt einige Indikatoren, die dir anzeigen, ob dein Anliegen eines ist oder nicht. Denn oft wird das, was man tut und was man gerne tut, mit dem verwechselt, was das Anliegen dahinter ist, weil sehr oft Anlass, Problem, Auslöser und Lösung wie kommunizierende Gefäße funktionieren. Das muss sortiert werden.

Filme verleihen? Wie denn?

Walt Disneys Anliegen war eben nicht das Filmemachen und sein Pioniergeist im Trickfilm. Er wollte das, was ihm seine Kindheit und Jugend gerettet hat, mit anderen teilen: für einige Stunden in eine Welt voll Fantasie entschwinden, damit der schwere Alltag danach wieder leichter zu bewältigen ist. Deshalb verließ er nach der Umwandlung seiner erfolgreichen Filmproduktions-Company in eine AG und somit in ein zahlengetriebenes Business das Unternehmen und gründete ein neues. Kein Filmstudio, sondern er erfand die Disney-Themenparks. Etwas ganz anderes, aber dennoch dasselbe Anliegen: für einige Stunden in eine Welt voll Fantasie entschwinden … Dasselbe Anliegen, andere Methode.

Von Roy Disney, Walts großem Bruder, habe ich mir gemerkt: „Jede Entscheidung ist einfach, wenn du deine Werte kennst.“ Jede Entscheidung wird auch einfach, wenn du dein Anliegen, deine Story kennst.
Denn dann weißt du, ob eine Idee gut ist, weil sie dein Anliegen vorantreibt.
Dann weißt du, ob eine Innovation nur gut ist, oder richtig, oder verrückt und gerade deshalb richtig für dich, weil sie dein Anliegen vorantreibt.
Dann weißt du, ob Mitarbeiter in dein Team passen, weil sie dein Anliegen mit Begeisterung mittragen und deine Story teilen. – Skills können sie lernen, Begeisterung nie.

Übrigens: Kannst Du dich noch an Blockbuster erinnern, die angesagte Videotheken-Kette? Was war deren Anliegen? Die beste Auswahl von Filme auf VHS und DVD anzubieten? Cool, allein: Das ist kein Anliegen, das ist eine Methode.

Netflix entstand, weil Reed Hastings für eine verlegte Kassette von „Apollo 13“ bei der Videothek 40 Dollar Gebühr zahlen musste und er sich dachte: Wieso funktioniert Entertainment nicht wie Fitness mit einer Flatrate im Gym? Und wieso funktioniert der Zugang zu den Filmen nicht einfacher, als dauernd selbst in die Videothek latschen zu müssen? Das kann in den USA nämlich ziemlich weit sein … Also entstand Netflix als Versand-Videothek zur Flatrate, was Netflix bis heute ist, allerdings Entertainment mit Streaming. Dasselbe Anliegen, andere Methode.

Ur-Sache und Beweg-Grund.

Man muss nicht immer die ganze Welt retten, um seinen „dent in the universe“ zu hinterlassen.

Business? Wofür denn?

Wenn Du herausfinden willst, ob das, was du gefunden hast, das Potenzial zum echten tragfähigen Anliegen hat, dann stell dir folgende Fragen kritisch – und beantworte sie ehrlich, auch wenn das schwierig ist und du unter Umständen deinen Plänen dadurch die Luft auslässt.

Los geht’s:

  1. Ist Dein Anliegen authentisch? Kommt es tatsächlich aus deinem tief empfundenen Innersten oder aus dem der Gründer in ihrer Backstory?
  2. Ist das Anliegen positiv – bringt es eine wertvolle Erneuerung in die Welt, die für andere von echtem Nutzen ist?
  3. Würdest du dieses Anliegen auch verfolgen, wenn du nicht dafür bezahlt würdest?
  4. Hat dein Anliegen dein volles Commitment und damit die Kraft eines Komm-mit-ments?
  5. Bietet dein Anliegen Möglichkeiten für andere, es zu unterstützen?
  6. Ist dein Anliegen Influencer-fähig: Kannst du darüber motivierende Vorträge halten oder ein Sachbuch schreiben, das anderen hilft?
  7. Überdauert dein Anliegen Veränderungen in Sachen Technologie oder ähnlicher methodisch-faktischer Paradigmen?
  8. Hat dein Anliegen den Magnetismus eines Leuchtturmes, auf den andere zusteuern wollen, sobald sie sein Licht einmal gesehen haben?
  9. Leuchtet in deinem Leuchtturm das ewige Licht, so dass die ultimative Vision deines Anliegens nie vollständig umgesetzt wird, sondern immer weiter wachsen und größer und stärker werden kann?
  10. Würde Entscheidendes fehlen, wenn dein Anliegen scheitert, und was wäre das auf der nicht(!)faktischen Ebene?

Wenn du alle diese Fragen beantwortet hast, dann zeichne dir als nächsten Schritt deinen Anliegen/Business-Canvas. Nimm vier Kreise, und schreibe die Antwort auf Folgendes rein:

Kreis 1: Was ist dein Anliegen?

Kreis 2: Was kannst du besonders gut?

Kreis 3: Was brauchen die Menschen aus dieser Perspektive gesehen?

Kreis 4: Wodurch entsteht gesamtgesellschaftlicher Nutzen aus dieser Perspektive gesehen?

Am Schnittpunkt dieser vier Kreise, dort, wo sie sich überlappen, ist das Spielfeld für dein künftiges Business, oder für deine Organisation. Dort sollte dein jetziges Unternehmen stehen.

Wenn nicht, dann gibt’s noch einiges zu tun. Los geht’s!

Erfüllung? Wodurch denn?

Du erkennst dein Anliegen unter anderem auch daran, dass dich die Aufgabe erfüllt. Das geschieht immer dann, wenn man seine Aufgabe erfüllt. Man sucht sich seine Aufgabe nämlich nicht, man wird gefunden. Deshalb gilt es mit offenen Augen, offenem Herzen und offenen Armen durchs Leben zu gehen, damit die Aufgabe einen perfekten Landeplatz vorfindet. Und wenn du dich zur Verfügung stellst, wirst du erfüllt sein, dein bedingungsloses Commitment spüren und das erleben, was der famose Viktor Frankl uns mitgab: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“
Dann wirst du in Bereitwilligkeit das erledigen, was dir auf die Nerven geht (Zahlenkolonnen?), in Freude an deinem Anliegen arbeiten und es mit Enthusiasmus mit anderen teilen. So einfach geht das – als bester Papa der Welt, Gründerin eines Unternehmens oder einer Theatergruppe, engagiert in einer NGO, für dich allein mit deinen Mal-Utensilien, als Politiker*in …

Du und deine Story – ihr beiden seid Not-wendig. Das sage nicht nur ich, sondern auch der Dalai Lama: „Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr. Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Arten.“ Das darf aber auch wie ein brummendes Business daherkommen.

Halte dich bereit. Lass dich von deinem Anliegen finden, und wenn es dich schon gefunden hat: Unternimm doch was!

Teile deine Story.

Das macht uns stark – als Menschen, als Unternehmen und Marken, als Gesellschaft. Mit den Werten unserer Story, mit unserem Anliegen, führen wir unser Leben, führen wir unsere Teams und führen wir in die Zukunft – wenn wir sie finden, erkennen und teilen.

Jede gute (Brand) Story zeigt ihre Werte, für die sie steht, für die du stehst, weithin sichtbar wie ein Leuchtturm am Horizont.„Follow your bliss“ schrieb uns mein Privatheiliger, der wundervolle Joseph Campbell dazu ins Fahrtenbuch und ich einige Gedanken dazu hier in meinem Blog. 

Egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen oder heldenhafte Einzelkämpfer als EPU: Jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat und braucht ein starkes Anliegen jenseits von Umsatz, Gewinn und Marktanteilen und die durch das Anliegen aktivierte Story, damit es resilient bleibt. Wenn du kein magnetisches Anliegen als lebendiges Thema hast, bleibt dir nämlich nur noch ein einziges anderes: der Preis. Und Preis ist hier nur ein kurzes Wort für: die Zukunft ist im Rückspiegel zu besichtigen.

Allen, die also sagen: „Für mich gilt das nicht, und für meine Marke schon gar nicht“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die sich meine Großmutter, die alte Story Dudette, aufs nasse T-Shirt schrieb, in dem sie sich von George Eastman fotografieren und von Walt Disney nicht nur zeichnen ließ: „No Story. No Glory.“

 

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