Markus Gull

Warum du keinen USP brauchst, sondern einen USP.

Hast du dein WHY schon gefunden? Oder suchst du noch nach deinem USP? Seit der legendäre Rosser Reeves 1940 den USP gebar, weiß nämlich jeder, dass ohne den überhauptgarnichts geht im Marketing, in der Werbung und sonst irgendwie auch nicht. Alles und jede brauchte einen USP, so wie heute eben alle nach ihrem Warum fragen. Deshalb ist Rosser Reeves bis heute legendär und war angeblich sogar eines der Role Models für den offiziellen Mad Man Don Draper, aber wer war das nicht in den Werbewunderjahren an der Madison Avenue … Der famose Howard Luck Gossage vielleicht – aber der war ja in San Francisco tätig. Möglicherweise ist das alles sowieso nur eine Legende über die Legende, denn: könnte Rosser Reeves’ Statement „No, sir, I’m not saying that charming, witty and warm ad copy won’t sell. I’m just saying I’ve seen thousands of charming, witty campaigns that didn’t sell.“ auch von Don Draper stammen? Wer weiß …


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Weil Charme und Witz eben nicht reichen und sich Produkte in ihrer Leistung auch damals schon immer weniger voneinander unterschieden, erfand Rosser Reeves den USP. Da weiß man, was man hat: nämlich eine gute Story.

Wieso sagen eigentlich alle der USP? Es heißt ja das Alleinstellungsmerkmal. Oder das Versprechen, oder die Versprechung. Naja, manche sagen nicht Unique Selling Proposition, sondern Unique Selling Point, und dann stimmt’s wieder. Hauptsache, man hat ihn/sie/es – US*P also …

Außerdem ist mittlerweile sowieso Das Warum der neue USP. Das Warum fand bekanntlich Simon Sinek und er schrieb auch empfehlenswerte Bücher über seine Entdeckung. Ist das bloß ein Zufall, dass er ebenfalls in der Werbung begann?

In der Werbung erfindet man ja bei weitem weniger als man weithin glaubt. Vieles findet man, manches davon auch schon, bevor es jemand anderer verloren hat, hab’ ich mir sagen lassen. Das Warum ist so ein Prachtexemplar. So schrieb der Hl. Viktor Frankl in den 1940er-Jahren über seine Höllenzeit im KZ: „Die Devise nun, unter der alle psychotherapeutischen oder psychohygienischen Bemühungen den Häftlingen gegenüber stehen mussten, ist vielleicht am treffendsten ausgedrückt in den Worten von Nietzsche: ,Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.‘“ Dieser Satz blieb ihm lebenslang Leitsatz für seine Logotherapie.

Und die allerhöchstverehrte Ingeborg Bachmann schrieb in Malina über nämlichen Nietzsche-Satz: „Es kommt mir eine Ahnung, dass er aus dem braunen Schulheft ist, auf dessen erste Seite ich in der Neujahrsnacht geschrieben habe: Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“

Wenn wir ein Warum haben, das wir leben müssen, das in uns drin lebt und ins Leben gebracht werden will, dann haben wir unseren inneren USP, könnte man sagen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, unser einzigartiges Verkaufsversprechen, mit dem wir uns selbst den Sinn unseres Daseins verkaufen. Das ist unser Beweggrund.

Wenn ich mir das alles mit meinem genesenden Mad Man-Gehirn so überlege, kommt mir ein seltsamer Gedanke: Vielleicht bedeutet USP heutzutage ja gar nicht mehr Unique Selling Proposition? Nachdem die lieben Leute, also wir, bekanntlich sowieso keine Produkte und Dienstleistungen kaufen, sondern das, was sie sein wollen – die Story, die mit einer Marke verbunden ist –, geht’s doch gar nicht mehr ums Produktversprechen, sondern um viel mehr: ums Warum einer Marke, eines Unternehmens, einer Organisation.

Wie wäre es also, wenn wir den/die/das USP herauskramen, abstauben, aufpolieren und umtaufen? Rosser Reeves wird dort, wo er jetzt ist, vermutlich ein Packerl Haustetschn für mich schnüren, aber nur so zum Spaß:
Unique Selling Purpose
Unique Sensemaking Purpose
Unifying Sensemaking Purpose

Wär’ das was?

Ich weiß: Purpose ist derzeit eine der bunten Säue, die durch jedes Buzzword-Dorf getrieben werden, aber es ist nun einmal richtig und wichtig. Purpose im Business – ein Anliegen – ist sogar das Wichtigste überhaupt. Vorausgesetzt, bei diesem Anliegen handelt es sich um alles Positive, das man unausgesprochen hineininterpretiert. Ähnlich wie bei „Ich will die Welt verändern.“ Da hat ja auch niemand das Weltveränderungskonzept von Dschingis Khan im Hinterkopf.

Unifying Sensemaking Purpose – das kommt ein bissel sperrig aus dem Maul, oder? Aber man gewöhnt sich an alles, mit ein wenig Übung sogar an Unifying Sensemaking Purpose. Bei Superkalifragilistikexpialigetisch und Desoxyribonukleinsäure hat’s ja auch geklappt, bei Authentizität hingegen stolpert nahezu jeder über seine Zunge. Zur Not können wir ja weiterhin wie bisher USP sagen, aber was Neues meinen. Heißt’s eigentlich der, die oder das Purpose?

Ich muss feststellen: Nachdem ich nun an Rosser Reeves’ altehrwürdigem USP herumgespielt und kräftig am Watschenbaum gerüttelt habe, bin ich richtig auf den Geschmack gekommen. Jetzt sticht mich der Hafer – aber wie!

Wie wär’s also, wenn wir gleich noch Edmund Jerome McCarthys Marketingmix aus den 60er-Jahren umbauen? Mein Vorschlag: fügen wir zu den vier P Product, Price, Place und Promotion noch zwei P dazu – People und Purpose. Deal?

Und wenn wir schon dabei sind, könnten wir in einem Aufwaschen gleich auch noch Steve Jobs widersprechen, und zwar in Sachen „… make a dent in the universe“. Wie wäre es, wenn wir keine Delle im Universum hinterlassen, sondern die vielen bestehenden Dellen ausbeulen, eine nach der anderen, aber dafür etwas leuchten lassen? Unseren Purpose zum Beispiel. In diesem Lichtschein würden wir, ich schwöre, im Handumdrehen unser Warum finden.

Wenn jeder Mensch, jeder von uns, jedes Unternehmen zumal, seinen USP neu definiert, wäre doch die Tür zu einer ganz neuen Geschichte für uns alle ein Stück weit offen, oder? Einen Spalt weit allemal, weit genug, dass ein bissel ein erfrischend anderes Licht hereinkommt als bisher.

In diesem Licht könnte jeder von uns allen – jedes Unternehmen, jede Organisation – anderen positive Signale senden, Zuversichtsimpulse geben und alle anderen dabei unterstützen, dasselbe zu tun. Jeder dieser Impulse wäre ein echtes Alleinstellungsmerkmal und insgesamt wirklich uniquer als Selling, finde ich. Daraus entstünde womöglich sogar ein Morgen, das das Zeug zu einer neuen, einer besseren Geschichte für uns alle hat, die von uns allen handelt und unsere Stärken multipliziert, anstatt, wie die alte Selling-Story, uns auseinanderdividiert im Besiegen, Übertrumpfen und Ausstechen.

Wenn wir das füreinander tun, dann tun wir das gleichzeitig auch für uns selbst. Es geht dabei um alles. Es geht ums Ganze – um unser Warum, unseren Purpose, um unsere innere Geschichte und die schmerzlich gähnende Leere, die entsteht, wenn sie fehlt. Viele spüren das.

Und damit es jetzt nicht heißt, ich trau mich nur auf Ikonen loszugehen, die nicht mehr auf Erden sind, steige ich hiermit zum guten Schluss noch gegen meine Großmutter in den Ring. Wer sie kennt, weiß, ihr zu widersprechen ist keine gute Idee. Trust me on this one: Ich kenne nicht nur sie, sondern auch ihren hammerharten rechten Haken, der schneller aus ihrem Ärmelchen fährt als Lucky Luke ziehen kann (der bekanntlich schneller als sein eigener Schatten zieht). Also widerspreche ich lieber nicht, sondern erlaube mir eine aktualisierte Bearbeitung deines Cri de Guerre, liebste Omama. Sowas hat ja bereits an anderer Stelle bestens funktioniert, zum Beispiel beim USP. Oder bei „Pygmalion“ und „My Fair Lady“, nicht wahr?

Lass uns also „New Story. New Glory.“ auf unsere Premierenankündigung schreiben, das Tor des Welttheaters öffnen und den Vorhang heben. Das Stück, das dann über die Bühne geht, handelt davon, wie eine neue Geschichte uns unendlich stark macht als Menschen, Teams und als Gesellschaft. Und jeder gewinnt.
Und ich bin fest davon überzeugt, dass meine Großmutter, die alte Story Dudette, die zwar ziemlich viele Jahresringe unter den Augen hat, aber im Herzen jünger ist als Billie Elish, in nicht allzu ferner Zeit diesen Remix ins Herz schließen und nicht mehr das sagen wird, was sie Rosser Reeves bereits auf seine Lucky Strike-Packung kalligrafierte: „No Story. No Glory.“

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