Markus Gull

Sechs einfache Schritte, wie Du sogar faden Produkten eine relevante Brandstory gibst.

Immer wieder höre ich im Zusammenhang mit Brandstory den Satz „Ja, Storytelling wäre schon toll, aber mein Produkt ist langweilig, darüber gibt es nichts zu erzählen!“ Mindestens genauso oft meldet sich der Spiegelzwilling dieses Satzes zu Wort: „Ich hab’ so viel zu erzählen, mein Produkt kann einfach so viel, da gibt es nicht die eine Story.“

Beides ist falsch.


ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!


Storytelling ist ein wunderbares Werkzeug, mit dem wir interessante Geschichten packend erzählen und für uninteressante Inhalte eine aufmerksamkeitsstarke Verpackung bauen; oder trockene Fakten gekonnt in Zusammenhänge stellen, damit sie für unser Publikum saftig, lebendig, also relevant werden. Storytelling braucht zu einem großen Teil gekonntes Handwerk, das lässt sich lernen, für manche besser, für manche schlechter. Es hat ja auch jeder schlechte Autofahrer einen Führerschein.

Storytelling bringt allerdings nur die halbe Miete aufs Kommunikationskonto, und zwar die zweite Hälfte. Wenn wir uns nämlich mit Brandstory befassen, dann geht es zuerst einmal nicht um Beschreibung, sondern viel mehr um Bedeutung und Beziehung.

Es gibt Themenfelder und Branchen, in denen sprudeln die Quellen der Bedeutung reichlich und liegen offensichtlich vor uns: Lebensmittel, Mode, viele Dienstleistungen, gesellschaftliche Anliegen … Die meisten Marken reden dennoch hauptsächlich über dasselbe – und brechen Rekorde im Reklame-Triathlon: gut, geil, günstig.

Es gibt sogar eine Branche, in der Bedeutung und Beziehung so offensichtlicher Daseinszweck sind wie kaum anderswo und Kommunikation vitaler Teil des Kerngeschäftes ist. Dennoch verstehen die meisten Marktteilnehmer rätselhafterweise nicht und nicht, wie sie ihre Story auf die Reihe bringen: Politik. Sie reden mit den Wählern und meinen sich selbst.

Und es gibt Produkte und Branchen, in denen versteckt sich die Story sehr geschickt hinter Features, Fakten und Preisgestaltung und will erst kunstvoll hervorgelockt werden. Bei Dachfenstern zum Beispiel.

Was’ wiegt, das hat’s?

Es ist ja wirklich spröde: Dachfenster kauft man, weil man halt Tageslicht haben will in seinem ausgebauten Dachboden, aber das war’s dann auch schon. Loch ins Dach, Strom sparen, gut isoliert – wann könnt Ihr liefern, und um welchen Preis?

Das war’s dann auch schon? Wirklich?

Gewinnt also bei vergleichbarer Leistung der billigste Anbieter, der am schnellsten liefern kann? Ja, vorausgesetzt, das Leben wäre ein Excel-File und wir würden Häuser bauen, weil wir Häuser brauchen.

Es ist aber nicht so. Nicht mehr so.

Zuerst einmal bauen wir Häuser nicht, weil wir Häuser brauchen, sondern weil wir wohnen wollen. Wohnen bedeutet aus positiver Perspektive betrachtet Eigentum, Unabhängigkeit, Freiheit, Freizeit, Loslassen, Bei-sich-Sein, Geborgenheit, Schutz & Sicherheit, Familie, Gemeinschaft, Emotion, Rückzugsort, Startplatz, Erinnerungen, Hoffnung, Essen, Schlaf, Traum, Halt, Mittelpunkt, Liebe, Leben …

Dafür, nicht für vier Wände und ein Dach über dem Kopf geben die Menschen ihr Geld aus. Viele sogar ihr ganzes Geld, nicht wenige mehr Geld als sie haben. Praktisch alle mehr Geld als ursprünglich geplant.

Und dann geht ja niemand in das nächste Dachfenstergeschäft am Eck und sagt: „Vier Dachfenster bitte!“ Man begegnet einem Produkt zuerst über die Kommunikation der Marke, so oder so. Bei Freunden, die es schon haben, bei Fachleuten und Beratern, am schnellsten und häufigsten in den unzähligen Berührungspunkten im WorldWideWeb, in der Werbung, in der Presse und über Content, der einem hilft, wenn man Glück hat. Dann hat auch die Marke Glück – und Verstand.

Relevanz zündet den Beziehungsfunken.

In diesem Bruchteil eines Super-Mini-Augenblicks, in dem jemand das Gefühl bekommt, die interessieren sich für mich, in diesem Augenblick zündet der Beziehungsfunke. So fad kann ein Produkt gar nicht sein, dass es anders wäre.

Am besten zündet man diesen Funken mit einer hoch-reaktiven Kombination zweier Wirkstoffe: Man nehme zu gleichen Teilen Relevanz und Bedeutung.

Beim dänischen Dachfenster-Hersteller Velux hat man das offenbar ziemlich gut verstanden. Das beginnt schon mit der Erkenntnis, dass wir nur deshalb drinnen wohnen, weil wir nicht immer draußen sein können – obwohl wir das sollten.

Bei Velux sagt man:
Wir alle sind eine Schöpfung der Natur. Für Abertausende von Jahren war die Natur unser eigentlicher Lebensraum. Die Verbindung mit der Natur liegt in unseren Genen. Aber irgendwie haben wir das alles mit der Zeit vergessen. Wir haben unser Leben nach innen verlagert und Mutter Natur ausgesperrt. Wir haben uns zur Indoor-Generation entwickelt und verbringen 90 % unseres Lebens in Innenräumen. Schlafen, essen, arbeiten, sich vergnügen. Aber ein Leben in Innenräumen mit reduziertem Tageslicht und verbrauchter Luft wirkt sich auf unser Wohlbefinden und unsere Laune aus. Wir müssen die Natur wieder in unser Leben lassen.

Wir bei Velux haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Indoor-Generation zu retten. Wir möchten Menschen mit dem Motto „Outside-in“ ermutigen und inspirieren. Häuser und Wohnungen sollen so umgestaltet werden, dass die Bewohner die Möglichkeit haben, natürliches Licht, Frischluft, Aussicht, Geräusche und Gerüche der Natur von außen nach innen zu holen und genießen zu können.

Bringen wir die Natur zurück in unser Leben!

In dieser Story steckt alles drin: Emotion, Fakten und eine einfache Idee als neue Perspektive. Als Gegensatz zur üblichen Fenster-Geschichte „Wir sind drin und schauen raus“ sagt Velux: Lasst uns die Natur auch drinnen spüren.

Auch Baustoffe brauchen Purpose.

Das ist das Anliegen, der Purpose, die Mission von Velux, das ist der Kern der Brandstory. Mit dem nötigen Pathos erzählt klingt das etwa so: „Wenn wir es schaffen, dass durch unser Know-how, unsere Technologie und unsere Leidenschaft die Natur in den Häusern zu spüren ist, dann werden wir – die Indoor-Generation und unsere Kinder – ein gesundes, freudvolles und glückliches Leben führen können. Wenn wir es nicht schaffen, bleiben wir in muffiger Finsternis zurück und verkümmern über Generationen hinweg. Also: Bringen wir die Natur zurück in unser Leben!“   

Velux launchte mit einem sehr gut gemachten, wunderschönen Film eine Web-Plattform The Indoor Generation, die sich vor allem an Menschen mit Kindern wendet. Man findet eine Menge an zusätzlicher nutzbarer Information rund um die Notwendigkeit von Tageslicht, Raumluft und Raumklima und was damit an messbarer Lebensqualität und der Gesundheit aller Bewohner zusammenhängt.

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Auch eine passende Studie gibt’s zum Downloaden, zu meckern gibt’s an dieser Kampagne wenig, aber doch: Die Stringenz der Initiative von Velux zur Plattform über die Channels und die Länderseiten/Sprachen ließe sich wesentlich vereinfachen und wäre dadurch besser nutzbar. 

Und dann natürlich meine alte Leier: Interaktion! Lasst das Publikum mit und für euch sprechen, indem es von sich selbst erzählt und so eure gemeinsame Story teilt! Dafür liefert The Indoor Generation einen nicht enden wollenden Strom an Themen und Möglichkeiten, Velux hat über 800.000 Abonnenten auf Facebook und fast 17.000 auf Instagram – ungenutzt! Schade um diese großartige Content-Kampagne, die sich auf eindimensionales Storytelling beschränkt und doch alles hätte, was involvierendes Storysharing ermöglicht und damit Bedeutung und Beziehung aktiviert. Als Lohn für diese Investition winkt unbezahlbare Time with Brand, und der Return on Investment verzinst sich als Return of Engagement und Return of Involvement.

So findest Du das Interessante im Faden. 

Wie Du selbst mit deinem – scheinbar – faden Produkt auf so eine Idee kommen kannst? Das erste Gebot lautet nach wie vor: finden und nicht erfinden! Falls der Geistesblitz nicht dort einschlägt, wo er es häufig tut und du deshalb vor Glück in der Dusche ausrutschst, gibt es ein einfaches – aber anstrengendes – Creativ-Tool aus meiner Story-Thinking-Methode: Der Bogen der Veränderung.

Die Dramaturgie jeder Erzählung braucht einen Bogen der Veränderung, den wir als Publikum miterleben. Das kennst du aus dem Kino: Wir sehen etwas, das unser Interesse weckt, und wollen wissen: Wie geht’s aus?
Im Prinzip funktioniert das nicht komplizierter als so: 

  1. Etwas kommt aus der Balance und muss 
  2. wieder in die Balance kommen. 
  3. Damit das geschieht, muss jemand etwas leisten/eine Aufgabe lösen/sich verändern/etwas lernen/über seinen Schatten springen. – Am besten alles gleichzeitig.

Eine Lernformel im Creative Writing lautet: Treib Deinen Helden auf einen Baum, dann wirf mit Steinen nach ihm und schau, wie er wieder runterkommt.

Stell Dir also folgende konkrete Fragen:

  1. Wie sieht die normale Welt jetzt aus?
  2. Wie verändert sich die normale Welt – was kommt aus der Balance?
  3. Was gibt den entscheidenden Anstoß zur Handlung?
  4. Welche antagonistische Kraft gilt es zu überwinden? – Wer ist der Gegner? (Das ist nie die Konkurrenz!)
  5. Wodurch überwinden wir diese antagonistische Kraft?
  6. Wie haben wir unsere Welt nun wieder in (eine bessere) Balance gebracht?

Bei der Velux-Story könnte das so funktionieren:

  1. Wir leben in unseren schönen Häusern und Wohnungen in großer Zufriedenheit.
  2. Doch unser modernes Leben führt dazu, dass wir bis zu 90 Prozent unseres Lebens drinnen verbringen.
  3. Die Wissenschaft zeigt, dass der Mangel an Tageslicht massive negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden, die Leistungskraft und unsere Stimmung hat. Leute, wir müssen etwas unternehmen! Wir müssen die Indoor- Generation retten!
  4. Das Aussperren der Natur aus unserem Leben ist die große Bedrohung unserer so genannten Zivilisation. Diese Bedrohung gilt es mit allem, was wir haben und können, zu besiegen.
  5. Unsere Heldentat: Wir bringen die Natur zurück in unser Leben, indem wir Fenster bauen, mit denen wir unsere Wohnräume optimal mit der positiven Wirkung des natürlichen Lebensraumes versorgen.
  6. Alles ist jetzt gut – ja besser! Wir genießen natürliches Licht, Frischluft, Aussicht, Geräusche und Gerüche der Natur auch innen, haben unser Wohlbefinden zurück und bessere Indoor-Lebensräume als je zuvor.

Und schon verwandelt sich ein technischer Betrieb, der Fenster herstellt, in einen emotionalen Retter unserer Lebensqualität, den Retter der Indoor-Generation. Ist doch ganz einfach, oder? 

Na ja, einfach … Du erinnerst dich bestimmt an die Szene aus „Jurassic Park“, als der angaloppierende Saurier im Rückspiegel sichtbar wird und die Schrift im Rückspiegel sagt: „Objects in mirror are closer than they appear“?

via GIPHY

Hier mein Warnhinweis: Im Rückspiegel betrachtete Storys lassen sich einfacher de-konstruieren als sie mit dem Blick nach vorn entwickelt wurden. Lass dich also bitte nicht von der Einfachheit des Der Bogen der Veränderung-Tools blenden. Du wirst vermutlich die Storyline deiner Marke nicht einfach so aus dem Handgelenk aufschreiben können. Das brauchte einiges an Muße, Mühe und Zeit. 

Aber es zahlt sich aus! Für Personal Brands, für scheinbar fade Produkte, für so genannte Marken, die jetzt allein über gut erzählte Werbe-Geschichten leben und sich in eine echte Marke mit einer Mission verwandeln wollen, weil sie’s müssen. Die Zeit von Werbe-Kasperei ist vorbei, auch wenn’s für viele gar nicht danach aussieht. – Hab ich’s schon erwähnt: „Objects in mirror are closer than they appear“?

Und noch einmal, weil’s wichtig ist: Such dir für deine Brandstory einen starken Gegner aus, denn so einen brauchst du. Das kann niemals Deine Konkurrenz sein. In diesem Artikel erkläre ich dir, weshalb.

Denn egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen – jeder Mensch, jedes Unternehmen hat und braucht Sinn, eine Mission, einen Purpose, also mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Mit dieser Story verwandelt man scheinbar Fades in Relevantes, gibt scheinbaren Commodities Bedeutung und stellt Beziehung zu seinem Publikum her. So gewinnt man gleichgesinnte Mitstreiter im Unternehmen, dort wo jede Story ihren Ausgang nehmen muss, wenn sie ernst gemeint und deshalb wirkungsvoll ist.

Wenn du in deiner Story keinen Purpose vermitteln kannst, bleibt dir nur noch ein einziges Thema: der kleine Preis. Und der ist in diesem Fall nur das Fersengeld für den letzten Freund, der durchs Fenster abhaut.

Allen, die also sagen: „Für mich und meine Marke gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, im Schein der ersten kargen Frühlingssonnenstrahlen, die durch die kleine Dachluke ihres finsteren Kinderzimmers drangen, in den Bezug eines Zierkissens stickte: „No Story. No Glory.“

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