Markus Gull

Wer lügt besser: J.R. Ewing oder du?

Kennst du die drei größten und am häufigsten verwendeten Lügen auf Erden? Vermutlich sind es diese:

  1. Ich konnte dich nicht erreichen.
  2. Nein, damit siehst du überhaupt nicht dick aus.
  3. Ich mache doch alles nur für dich.

Und der größte Lügner der Menschheitsgeschichte auf Augenhöhe mit Baron Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen ist mit ziemlicher Sicherheit J.R. Ewing, Ölbaron zu Dallas (TX). Sein All Time Favorite „Bobby, du bist mein Bruder und ich liebe dich. Und alles was ich mache, mache ich nur für Mama und dich!“ bleibt uns bis heute in lebhafter Erinnerung. Das glaubt er vermutlich sogar, der J.R., und lügt also nicht nur Bobby an, sondern in einem Aufwaschen gleich viel mehr noch sich selbst.

Mr. Ewing befindet sich mit diesem Verhalten in allerbester Gesellschaft. Nämlich in unserer. Auch wir lügen uns ständig selber an, vorzugsweise mit einer Variante von J.R.s-Klassiker: „Das mach ich nur für/wegen/weil …” In Wahrheit machen wir kaum etwas aus rationalen für/wegen/weil-Gründen. Schon gar nicht, wenn wir etwas kaufen. Und schon überhaupt gar nicht für jemanden, außer für uns selbst.

Wir definieren uns über unsere Herkunft und Zugehörigkeit, oder re-definieren uns über deren meisterliche Veränderung, soweit wir das können. Ich bin jetzt BerlinerIn, ich bin jetzt BuddhistIn, ich bin jetzt VeganerIn, BloggerIn, dann mal weg … Und wir definieren uns in unserer Gesellschaft ständig über das, was wir kaufen. So sind Zeit und Welt in der wir leben. Marken geben uns dabei Orientierung, und mit Marken, die wir gut finden, geben wir den anderen Orientierung über uns.

Die Wissenschaft hat unterschiedliche Zahlen parat, unterm Strich sind sich alle Experten einig: Wir treffen praktisch alle unsere Entscheidungen emotional und intuitiv. Und zwar schon lange bevor wir es offiziell entscheiden. Die dazugehörigen Fakten sind zwar gut und wichtig, aber dienen bei den allermeisten Entscheidungen einzig und allein dafür, dass wir damit unsere emotionalen Entscheidungen argumentativ begründen können. Hauptsächlich vor uns selbst. Irgendwie boxt uns unser Bewusstsein immer aus der Scheiße raus, in die uns unser Unterbewusstsein reingeritten hat.

Vor einigen Jahren fragte mich ein Mensch, dessen bester Freund ich war:
„Ich muss mir einen Computer kaufen, welchen soll ich nehmen? Windows oder Apple?”
Apple, selbstverständlich!”, sagte ich.
„Wieso? Sind die besser?”
„Nein. Das ist eine Charakterfrage.”
Er kaufte ein bis unter den Bug aufmunitioniertes Mac-Schlachtschiff, und zwar, wie er erzählte, damit ihn seine Tochter, eine Filmstudentin, öfter besucht. Er kaufte den Computer also für sich. Eine Charakterfrage, wie gesagt.

Du kennst es ja selbst. Du ziehst los, weil du einen Mantel brauchst, kommst mit zwei Mänteln und einem Paar zu teuren Schuhen nachhause, jedes Teil für sich der beste Kauf deines Lebens. Da fallen das Jacket und das andere Paar Schuhe eigentlich gar nicht mehr ins Gewicht. Und der Gürtel auch nicht. Und der Pullover – Kashmir kriegst du nie mehr um diesen Preis (die spinnen, glaub ich …)

Das gilt übrigens auch für die total vernünftige, knochentrockene, rationale B2B-Welt. Warum? – Vielleicht, weil dort auch Eigentümer von zwei Mänteln und zu teuren Schuhen entscheiden? Wer weiß …

Und beim Schenken? Größer als die Enttäuschung über ein unpassendes Geschenk, das man bekommt, ist doch nur die eigene Enttäuschung über ein unpassendes Geschenk, das man jemandem gemacht hat. Ja, wir schenken, damit sich jemand freut. Und genau das ist die Belohnung für uns. Diese Freude als Feedback. Die Info über uns selbst. Daraus bekommen wir wieder ein Stückchen Antwort auf unsere Ur-Frage, die keine Lüge als Antwort brauchen kann (aber allzu oft bekommt).

Ist das egoistisch? Mag sein, jedenfalls ist es menschlich. So sind wir. Ja, du auch, nicht nur ich.

Apropos Ur-Frage: um die dreht sich’s.

Wir wollen endlich Antwort auf unsere Ur-Frage.

Es gibt in Wahrheit nur eine einzige Frage, die uns Menschen wirklich interessiert. Diese Frage stellen wir uns Tag ein, Tag aus in den unterschiedlichsten Varianten, Formen und Verkleidungen.

Mit unseren Vorlieben, Einkäufen, mit unseren Postings, mit unserer Kleidung, mit unseren Likes und Shares, ja irgendwie mit allem was wir tun suchen wir Antworten auf unsere Ur-Frage, denn jedes Statement fragt implizit nach Feedback. Jedes Feedback sagt uns mehr über uns als es das Statement tut und liefert somit ein weiteres Puzzleteilchen der Antwort zu unserer Lebens-begleitenden Frage: „Wer bin ich?”

Die Frage „Wer bin ich?” ist letztlich die Frage nach dem Sinn unseres Lebens, die uns beschäftigt, und viele von uns finden die zufriedenstellende, endgültige Antwort nie. Und so suchen wir weiter und weiter und weiter. Denn der Sinn ist das, was wir zum Leben wirklich brauchen – Nahrung für unsere Seele.

Auf der Suche nach dem Sinn.

Ich weiß nicht, ob es dank des WorldWideWeb nur sichtbarer ist als früher, oder ob es tatsächlich geschieht: Immer mehr Menschen sind auf der offensiven Suche nach dem Sinn, der Wahrheit und dem Warum in allem, was sie tun. Eine Unzahl an Angeboten von Büchern, Kursen und Beratungsleistungen rund ums Thema „Finde deine Bestimmung” in allen denkbaren Varianten schwirrt durch die Gegend und wird begierig angenommen. Eine Industrie entsteht. Immer mehr Menschen wollen mehr Zeit, dafür weniger Zeug, suchen in ihrer Arbeit mehr als nur die Möglichkeit zum Broterwerb.

So ist es kein Wunder, dass Marken, die im Bereich der Sinnstiftung etwas Glaubwürdiges anbieten, nachweislich besser performen als andere. Das lässt sich an den KPIs ablesen, an der Börse-Performance und am Share of Wallet. Die meisten Menschen sagen weltweit, dass sie Marken bevorzugen, die so etwas wie Bedeutung und Sinn bieten. Ganz besonders laut sagen das die allseits begehrten Millennials. Und Unilever bestätigte bereits vor längerer Zeit, dass ihre beiden Marken mit Bedeutung Dove und Ben & Jerry’s doppelt so schnell wachsen wie ihre anderen Marken und dass Unilever deshalb an allen seinen Brands in diese Richtung arbeitet.

Brands with Benefits aktivieren Werte. 

Werte sind die Bausteine unseres großen „Warum?“. Werte sind es auch, die einer Marke den Mehr-Wert geben. Und Werte sind es also, auf denen eine kraftvolle, wirkungsstarke Brandstory erbaut werden muss. Dann entstehen Brands with Benefits.

Aber Achtung: so etwas funktioniert nachhaltig nur dann, wenn die Werte von innen aus dem Unternehmen entwickelt und nicht, wenn sie von außen aufgepfropft werden. Das wäre sonst nur verkleidete Werbung und wird schneller entlarvt als J.R. Ewing „Bobby, du bist mein Bruder …” sagen kann. Wenn Menschen auf der Suche nach Wahrheit sind, kannst du ihnen nur mit Wahrheit begegnen.

Jede gute Story seit Erfindung des Lagefeuers ist auf Werte gebaut und stellt zuerst und immer die intrinsische Frage: „Welcher archaische Grundwert ist in Gefahr?” Daran erkennst du sofort, ob es sich um eine substanzielle Story mit echtem Nährwert handelt, oder um Unterhaltung auf Kaugummi-Niveau. Und glaub’s oder nicht: Serien wie Dallas haben mehr echten Storygehalt als man es ihrer Oberflächlichkeit unterstellt. Das ist mit ein Geheimnis ihres Erfolgs.

An der Werte-Frage erkennst du auch, ob es sich um eine Brandstory handelt, oder um das Storytelling-Gequatsche, das derzeit jeder wenigstens Teilalphabetisierte, der sich halbwegs auf zwei Beinen durch die Marketingwelt bewegt, meint, auf wichtig vor sich herschieben zu müssen. Ich will nicht sagen alles, aber deutlich mehr als 99 Prozent davon kommt von Leuten, über die man im Amerikanischen so schön sagt: „They can’t tell shit from Shinola.” – Shinola ist übrigens ein wunderbares Beispiel für eine Marke, die über Werte, Sinn und Purpose komplett neu aufgebaut und neu ausgerichtet wurde.

Lügen

 

Der eine entscheidende Erfolgsfaktor.

Das gilt übrigens für alle, die Marketing-Kommunikation betreiben, nicht nur für internationale Mega-Brands. Das gilt für B2B, das gilt für kleine Unternehmen bis hin zu den Solopreneuers, das gilt für jede Branche.

Also, hier kommt die Gewinnfrage: Wie viel Zeit verbringt dein Publikum mit dir und deiner Marke und wie stark nehmen die Menschen aktiv an deiner Story teil, weil es für sie relevant ist? Involvement ist der eine entscheidende Erfolgsfaktor, der heutzutage die ausgedroschene Werbespreu vom Weizen mit Marken-Nährwert trennt. Die echten Erfolgs-Messgrößen sind Time with Brand und ROI – Return of Involvement, und nicht kurzsichtiges Return on Investment. Besser noch ROE – Return of Engagement.

Den Dünger des Erfolges streust du bereits bei der Konzeption auf den Acker deiner Aktivitäten, wenn du ein einfaches Prinzip verinnerlichst: Keine Information ohne Interaktion.

Small Talk ist teuer.

Ich behaupte nicht, dass das leicht umzusetzen ist, denn das ist es überhaupt nicht. Auch deshalb findet man nicht viele gut gemachte Kampagnen. Nein, leicht ist es nicht. Aber es ist nötig.

Denn, wenn du und dein Publikum kein Gesprächsthema habt, das euch beide interessiert, dann bleibt euch nur noch Small Talk über ein einziges Thema. Im Gegensatz zu langweiligen Partys geht’s dabei aber nicht ums Wetter, sondern um den Preis. Und dann bekommt Small Talk plötzlich eine sehr unangenehme Bedeutung für dich.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der mit „Relevante Werte” beschrifteten Kassette. Denn sobald und nur dann, wenn eine Brandstory durch Werte beseelt ist, die eine Sehnsucht beim Publikum berühren, entsteht eine Storyworld in der sich Marke und Publikum begegnen und interagieren und kostbare Time with Brand miteinander verbringen. Und dann ist ein wirklich starkes Band geflochten.

Push ist tot. Hoch lebe Pull.

Wenn sich an der Denke, die seit ungefähr 1830 die Marketing-Kommunikation diktiert, nichts ändert, wir also weiterhin meinen, es wäre ein Erfolg, wenn wir möglichst vielen Menschen mit Programmatic Advertising und ähnlichen Einschleich-Tools unser Zeug vor die Nase pushen, wird’s finster. Die besondere Wirkung von Storytelling und Content Marketing liegt nämlich im direkten Gegenteil von Push, im Pull.

Lass uns unser Publikum mit Dingen inspirieren, die in seinem Leben Nutzen bringen. Dann müssen wir es nicht verzweifelt verfolgen, sondern die Menschen werden zu uns kommen. Schluss mit Adverstalking – Story statt Werbung! Werbung erzeugt nur Echo, Story erzeugt Resonanz.

Die Voraussetzung dafür ist, dass jede Marke drei einfache Prinzipien versteht und aktiviert:

  1. Welchen Kernwert spreche ich nachhaltig an, also: welche Sehnsucht der Menschen teile ich?
  2. Wodurch kann ich diese Sehnsucht gleichermaßen stillen und nähren?
  3. Was kann ich anregen, verteilen oder initiieren, das den Menschen so wichtig ist, dass sie es weiter verteilen, weil sie dadurch mehr über sich selbst erzählen als über mich?

Niemand macht etwas für Bobby Ewing, sondern nur für sich selbst. Auch wenn es vielleicht anders aussieht oder wenn man es sogar selber glaubt. Die Wahrheit ist: Niemand interessiert sich für unseren Scheiß, sondern nur und ausschließlich für seinen eigenen. Deshalb:

  1. Deine Story kann niemals von deiner Marke und muss immer von deinem Publikum handeln.
  2. Deine Marke ist nicht der Held, deine Marke muss ihre Benutzer zum Helden machen.
  3. Brandstory braucht Relevanz und Eigenständigkeit – am besten aber: Brandstory bedeutet Eigenständigkeit durch Relevanz. Damit deine Marke Quality Time mit ihrem Publikum bekommt, muss sie relevant sein. Das bedeutet … (siehe 1).

Die Prinzipien sind einfach, ihre Umsetzung ist es ganz und gar nicht. Dafür braucht es als Grundvoraussetzung eine veränderte Haltung im Unternehmen selbst und nicht nur viele junge Leute mit Snapchat-Account in der Marketingabteilung. Das beginnt bei der Unternehmensführung und umfasst alle Abteilungen, besonders natürlich Marketing, Vertrieb, Service und zu aller erst Human Resources – Stichwort Employer Branding.

Wenn du diese Prinzipien meisterlich zum Leben erweckst, dann wird etwas Besonderes entstehen. Dann wird dein Publikum auf der Suche nach Antworten für sich selbst deine Story benutzen, weil es damit ein Statement setzen und Feedback bekommen kann.

Hero Branding® bedeutet: Storysharing statt Storytelling.

Eine echte Hero Brand  ist niemals selbst der Held, sondern macht ihr Publikum zum Helden. Sie redet ihrem Publikum nicht irgendetwas ein und pusht sich dadurch ins Leben der Kunden, betreibt also nicht Storytelling. Eine echte Hero Brand macht etwas viel Besseres. Sie verbindet die eigene Story, also ihre Wertewelt, mit der Wertewelt ihrer Kunden. Sie versteht sich also auf die Kunst des Storysharing und entfaltet dadurch magnetisches Pull. Sie zieht Kunden an.

Jeder Kunde, der eine Hero Brand benutzt, erzählt die Geschichte der Marke deshalb weiter, weil er damit über sich selbst, seine eigene Geschichte erzählen kann. Und die eigene Geschichte ist nun einmal die einzige, die die Menschen interessiert.

Deshalb gilt, auch wenn Storytelling mittlerweile als nerviges Buzzword durch jedes Dorf getrieben wird, der Satz, den meine Großmutter, die alte Story Dudette, einst mit J.R. Ewings Nasenblut an die Wohnzimmerwand der Southfork Ranch schrieb:  „No Story. No Glory.”

 

Bildhinweise:
Titelbild/Larry Hagman: 2011.04.08. Star Awards FG 12 von Dallas Film Society Images | Lizenz
Shinola: Image von Mike Petrucci | Lizenz

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