Markus Gull

Was tun, wenn in deiner Story der Mentor fehlt?

Kannst du dich noch an deine Schulzeit erinnern? Was fällt dir als Erstes ein? 

Ich denke meistens zuerst an die Lehrer, die unter mir, meinen Spielgefährten und unserem übermütigen Gestaltungswillen litten. Unter manchen Lehrern litten wir allerdings auch, aber wie! Hauptsächlich unter jenen, die uns mit ihrem Fadgas, das sie in allzu üppiger Freigebigkeit ausbrachten, in Morpheus’ heftige Umarmung drängten, aber dennoch verlangten, dass wir wach bleiben. So etwas überfordert jeden Teenager restlos.

Offen gestanden waren wir schon auch ziemliche – wie man in Österreich sagt – Rotzpipp’n und haben kaum ein Bubenstück unverrichtet gelassen. Viele Aktionen waren lustig, manche würde ich so heute nicht mehr machen, einige jedenfalls besser inszenieren. Aber wir hatten ja sonst nix, nicht einmal Internet – nur Internat, dafür aber auch am Samstag Schule.

Der Gedanke daran, was mir damals und seit damals an Lehrern begegnet ist, verursacht mir noch heute eine ausgewachsene Schreck-Phimose. Viele von ihnen haben in diesem Beruf ungefähr so viel verloren wie Florence Foster-Jenkins in der Carnegie-Hall: wirkmächtige König*innen der Dissonanzen. 

Und dann gab es für mich im positivsten Sinne prägende Lehrer-Persönlichkeiten, ein paar, die mir bis heute in der Erinnerung lebendig sind. 


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Du hast hoffentlich auch solche Menschen in deiner Biografie! Diese Menschen beeindruckten mich nicht als die besten Experten in ihrem jeweiligen Fach, oder weil sie besonders nett und nachsichtig zu uns wilden Kerlen waren. Sie beeindruckten mich mit Persönlichkeit, Charakter und Haltung, ohne dass ich das damals in meiner Schulzeit so klar verstehen konnte. Sie zeigten etwas vor, lebten etwas vor, schickten mir und uns Signale, dass erwachsen sein nicht unausweichlich mit dem Ende der lebenswerten Welt zu tun haben muss, wie wir befürchteten, sondern dass es da irgendwas gibt, was sich wie der richtige Platz für einen anfühlt.

Wir konnten das natürlich nicht so formulieren, aber wir spürten das, weil wir diese Lehrer lässig fanden. Damals fand man lässig, was heute nice ist.

Lehrer helfen beim Verwandeln.

Diese Menschen waren uns mehr Mentoren als Lehrer, auch deshalb, weil sie vermutlich spürten, dass es bei ihrem Beruf um mehr ging als Wissen zu vermitteln.

Solche Lehrer begegneten mir immer wieder. Wir waren nicht in der Schule, sie waren keine Lehrer, aber sie haben mich verwandelt.

Echte Lehrer begleiten Menschen eine Zeitlang bei ihrer Verwandlung in die beste Version, die sie werden können, werden könnten, so gut es halt geht. Sie kümmern sich um das, was man im Satz „Non scholae sed vitae discimus“ stets missversteht und reflexartig mit „Was brauch’ ich den Pythagoräischen Lehrsatz? Ich will Influencer*in werden!“ beantwortet. 

Dem Influencer-Business geht ja im Sog des Corona-Wirbels angeblich einigermaßen die Luft aus, habe ich gelesen. Vielleicht bekommen dafür die echten Influencer Wind unter die Flügel? Jene Influencer, deren Einfluss sich tatsächlich niemand entziehen kann, die Lehrer eben. Das wär’ doch was, wenn durch die aktuellen Erfahrungen mit Home Schooling und solchen Sachen ein neues, besseres Verständnis über diesen systemrelevanten Beruf entstünde – bei den Eltern, bei den Schülern und ganz besonders bei den Lehrern selbst. Meine Güte, wäre das wichtig!

Lehrer müssen Mentoren sein! Wobei nicht jeder Mentor ein Lehrer ist, weit gefehlt, liebe Mädchen & Buben. 

Der Mentor ist für jede Heldin einer Geschichte eine substanziell notwendige Figur. Oft ist der Mentor sogar derjenige, der die Heldin zur Reise ruft und den Anstoß zur Bewegung gibt. Er ist aber immer jemand, der etwas ganz Entscheidendes beiträgt, damit die Heldenreise gelingt. Und jede Reise – auch die durch die Schulzeit – ist eine Verwandlung. Am Ende sind wir andere als am Anfang, und wenn das gelingt, was gelingen soll, sind wir ein Stückerl besser geworden, echter, wahrer, wir selbster.

Mentor und die Weisheitsgöttin.

Der Figur des Mentors in dieser Bezeichnung begegnen wir erstmals in Homers „Odyssee“. Mentor, der beste Freund des Odysseus, kümmert sich in Abwesenheit des Königs von Ithaka um dessen Sohn Telemachos und berät ihn, wie später auch Odysseus selbst, nach dessen Heimkehr und gibt den beiden entscheidende Anstöße für ihr Handeln. Warum er das so gut konnte? Weil immer wieder Athene, die Göttin der Weisheit, in seinen Körper schlüpfte. Also wenn du von der Weisheitsgöttin bewohnt wirst, ist Mentor sein keine große Kunst mehr …

Weil wir auf unseren Irrfahrten ebenfalls Mentoren brauchen – jeder hat ja unterschiedliche Wege und Umwege zu beschreiten –, sollten wir tunlichst Ausschau halten, ob sich denn die weise Athena in der Nähe unseres Mentors befindet, oder allein Philotes, der Gott der Freundschaft.

Freunde können in einer Geschichte zwar auch Mentoren sein, und umgekehrt, müssen sie aber nicht. Freunde sind vor allem einmal Helfer, Gefährten oder Sidekicks der Heldin, begleiten sie, unterstützen sie – sind ihr gleichgestellt oder werden von ihr angeführt. Dorothy hat auf ihrer Reise zum Zauberer von Oz Toto, die Vogelscheuche, den Blechmann und den feigen Löwen an der Seite, Frodo Beutlin eilt in „Der Herr der Ringe“ mit Sam, Merry, Aragorn & Co. durch Mittelerde, Harry Potter hat Hermione & Ron …

Mentoren-Figuren stehen, im Unterschied zu Freunden und Gefährten, in der gefühlten Hierarchie meist über der Heldin, was nicht automatisch mit der gesellschaftlichen Hackordnung zu tun hat, sondern in jedem Fall mit der Kompetenz der Mentoren-Figur in einer für beide relevanten Sache. 

Dein Mentor, dein Lehrer, dein Coach.

Im täglichen Leben begegnen uns Mentoren oft in der Funktion und Rolle eines Coaches, der uns über einen gewissen Zeitraum zu einem Thema begleitet, bei dem wir neue Sichtweisen, geordnete Perspektive, Fokus und Orientierung brauchen. Das ist es, was Mentorinnen ihren Helden bieten, und deshalb brauchen wir alle immer wieder Mentoren – Lehrer, Coaches, Berater. Die Grenzen verwischen sich hier.

Bei Lehrern ist es nicht typisch, bei Mentoren in Geschichten aber praktisch die Regel, bei Beratern und Coaches häufig und bei Influencern in dieser Funktion nicht selten: Der Mentor teilt eine Erfahrung mit der Heldin, die er selbst schmerzlich erworben hat, als er auf seiner eigenen Heldenreise in einer ähnlichen Situation wie die Heldin steckte und strauchelte. Daher kommt ein guter Teil seiner Autorität: „Ich habe dies und das erlebt, falsch gemacht, daraus gelernt, und ich teile das Gelernte jetzt mit dir, damit du schneller ans Ziel kommst …“

Mitunter tricksen Mentoren, immer wieder sind diese Figuren ja Zauberer: Genie für Aladdin, Obi-Wan Kenobi für Luke Skywalker, Gandalf für Frodo oder Merlin für Artus. Merlin ging sogar so weit, dass er für den künftigen König Artus die Szenerie vorbereitete, indem er das Schwert Excalibur in den Stein zauberte (oder wie hast du gedacht, dass das Teil dort reingekommen ist …?).

Oft ist ein Mentor sogar die finstere Version des Helden, und der lernt vom Mentor über dessen schlechtes Vorbild. Tun wir doch alle mitunter, oder? Jemand benimmt sich unmöglich, wir erkennen darin die Spiegelung unserer eigenen finsteren Seiten, wenn wir schlau sind, und lernen daraus, wenn wir sehr schlau sind.

Eine Mentorin hilft dem Helden, stößt an, gibt einen Schubs, drückt ihm ein Hilfsmittel in die Hand, zeigt hin – auch dort hin, wo’s weh tut, und verhilft zum Wachstumsschmerz. 

Wenn der Held vor lauter Wald nicht mehr weiter weiß, zeigt die Mentorin, wo die Bäume stehen und in welche Richtung die Lichtung zu finden sein könnte. Wenn die Heldin gegen die Wand rennt, macht der Mentor den Vorhang auf, damit Licht in die Bude kommt und die Türe zu sehen ist. Dein Mentor zeigt dir, in welcher Ecke die Angelrute lehnt, fischen musst du allerdings selbst. Die Mentorin weiß, wo die großen Steine im See liegen – übers Wasser gehen musst du selbst. Ausrutschen und reinfallen auch.

Und: Helden können mehrere Mentoren gleichzeitig haben, wie Harry Potter nicht nur Albus Dumbledore hatte, sondern auch Remus Lupin und Sirius Black.

In diesem Blog-Beitrag in der Serie über die Heldenreise findest übrigens einige zusätzliche Gedanken über Mentoren-Figuren.

Der Mentor in tausend Gestalten.

Ach ja: Mentoren gibt es in vielerlei Gestalten. Nicht selten macht ein besonderes Buch genau das, was Mentoren tun, oder ein Lied von Bob Dylan, das dich dein Leben lang begleitet, ein bewegendes Theaterstück, eine Entdeckung in einer alten staubigen Kiste, ein Bild, das dir mehr als Worte sagt und dich zu einer überraschenden heilsamen Erkenntnis bewegt …

Diese nichtpersonifizierten Mentoren können eine Menge in Gang setzen, aber damit ist ihre Aufgabe erfüllt, dann sind ihre Möglichkeiten erschöpft. 

Mentoren aus Fleisch und Blut, Menschen wie du & ich, haben ein breites Spektrum an Unterstützung der Helden. Eine der wichtigsten scheint zuerst einmal passiv: fragen und zuhören. Menschen erzählen, um gehört zu werden, und dabei erklären sie sich selbst eine Menge. Ein guter Mentor macht das möglich, fragt, damit sein Schützling sprechen kann, hört zu, damit er versteht.

Und ein guter Mentor weiß, welche Notwendigkeiten Heldinnen haben, damit sie aus dem Zaudern kommen und sich die Nebel des Zweifels verziehen. Mentorinnen und Coaches können deshalb fünf Sachen besonders gut:
1) Fehler des Helden rechtfertigen (aber nicht gutheißen)
2) seinen Verdacht bestätigen (aber nicht dort picken bleiben)
3) Ängste nehmen (aber nicht zum Leichtsinn treiben)
4) Träumen Aufwind geben (aber keine Illusionen nähren)
5) helfen, Gegner und Gegenkräfte zu besiegen (aber nicht, den Kampf abnehmen).

Wenn wir etwas zu verkaufen haben, dann tun wir gut daran, diese innere Story-Wahrheit zu erwecken. Dort, wo es einer Marke oder einem Verkäufer in Person gelingt, als Mentor das Momentum aus Nützlichkeit und Bedeutung zu erzeugen, zündet der Magic Mentor Moment, und eine nahezu unaufhörliche Beziehungsarbeske beginnt ihre Bahnen zu ziehen. Marken sind Mentoren, nicht Helden!

Mentor

Der unbequeme Partner.

An diesen magischen Stellen stehen Mentoren, Coaches, Lehrer und Berater bereit, holen die Helden ab, wo sie sich befinden, und fragen, zeigen, inspirieren. Und manchmal packen sie auch an, wenn’s kritisch wird, verstören, irritieren, stiften Unruhe, stiften an. In keinem Fall ist ein Mentor, so wirksam er ist, weil er den Helden ermächtigt, ein Gönner oder Retter. Das ist etwas völlig anderes. Mentoren, Coaches und Lehrer sind im besten Falle unbequeme, kritische Partner, die der Heldin den Rücken und ihr Selbstvertrauen stärken. Sie machen es der Heldin nicht leicht, öffnen aber Horizonte, verkehren die Perspektive in ihr Gegenteil, rücken sie so zurecht und ermöglichen damit den Blick aufs Ganze und aufs Wesentliche gleichermaßen.

Besonders hinreißend finde ich die Geschichte „About a Boy“ von Nick Hornby, in der zwei an der Küste ihrer inneren Schiffbrüchigkeit gestrandete Typen einander Mentoren sind. Der erwachsene Lebemann Will Freeman trifft den halbwüchsigen Marcus Brewer und lernt von ihm, wie sich ein erwachsener, verantwortungsvoller Mensch benimmt, während der Junge von Will Nachhilfe im Kindsein bekommt. 

Kinder können hervorragende Mentoren sein! 

Maria Montessori zum Beispiel hatte einen epiphanischen Mentoren-Moment mit einem vierjährigen Mädchen, das ihr mit seiner Bitte „Hilf mir, es selbst zu tun!“ den Leitsatz für die Pädagogik der großen Bildungsreformerin ins Herz pflanzte. Wie heißt es: „Der Lehrer lernt am meisten.“ Diesen Satz kann ich aus ganzem Herzen bestätigen. 

Es gibt für mich kaum eine erfüllendere Tätigkeit, als bei Keynotes & bei Vorträgen, im Mindset- & Führungs-Coaching, in Workshops oder Seminaren Bewegung in Menschen und Menschen in Bewegung zu bringen, in dem ich sie mit Inspiration, Anstößen, Perspektiven-Fokus und dem einen oder anderen Zündfunken für das Feuer ihres inneren Leuchtturms ein Stück auf ihrem Weg begleite. Die verblüffende Erkenntnis, die ich dabei immer und immer wieder aufs Neue mache: Die Top-Managerin eines internationalen Konzerns plagen die gleichen Fragestellungen wie den Gründer eines Spin-offs auf der Uni, der Marketingmanager grübelt über dieselben Themen wie seine Kommunikationsberaterin, erfolgreiche Menschen werden von denselben Zweifeln beknabbert wie Anfänger. Die Branche, die Dimensionen und die Formulierungen unterscheiden sich, die Standpunkte, Blickwinkel und Sichtweisen naturgemäß ebenfalls, doch im Kern lautet die Sehnsuchtsfrage – wenn auch oft unterbewusst – immer: „Wer bin ich, und wenn ja, warum und wie werde ich, wer ich sein sollte – wie ich gemeint bin …?“ Anders gesagt: „Wie durchmesse ich diese meine Reiseetappe und komme sicher und geläutert ans Ziel?“ Als unterstützende Begleiter braucht es die richtigen Mentoren, mit dem richtigen Blick und dem richtigen Griff. Für Orientierung, Perspektive und  Fokus.

Der Satz aus dem Zen-Buddhismus „Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer“ gilt im Übrigen auch andersrum. Diese Erfahrung mache ich wieder und wieder, und auch dazu gibt es einen sehr unterhaltsamen Film, von Richard Linklater, über den Rock-Slacker Ned Schneebly, der sich als Aushilfslehrer ausgibt und dabei von seinen Schülern mindestens genauso viel lernt wie sie von ihm. Beide sind füreinander bereit, treffen sich in einer ehrwürdigen Schule, verwandeln einander über das Band-Projekt „School of Rock“ in ihre nächste, bessere Entwicklungsstufe und wirken zudem gemeinsam als Mentoren für die Eltern und die vertrocknete Direktorin der muffigen Bildungsbude.

Weil wir grad bei Lehrer-Film sind: Mentoren sind natürlich nicht zum Dasein als Nebenfiguren in den Geschichten aller anderen verdammt, sondern die Hauptdarsteller in ihren eigenen. In diesen Geschichten sind ihre Mentees die Aufgabe, an der sie wachsen. 

Du hast vermutlich „Dead Poets Society/Der Club der toten Dichter“ gesehen, und wenn nicht, bitte jetzt sofort (!) nachholen. An der Figur des Englischlehrers John Keating am Elite-Internat erlebst du alles, was man über die Aufgabe eines Lehrers und die Funktion eines Mentors verstehen muss, einschließlich der für mich bis heute nicht geklärten Frage, wie zwiespältig man die an den oberen Schichten des Characters super-positive Figur John Keating sehen muss. Der Lehrer, der sein eigenes Schüler-Trauma bewältigt, indem er – als Therapie oder Rache? – seinen Schülern das Tor zur Welt des selbstständigen Denkens und zum Weg in die eigene Berufung aufstößt.
Tom Schulman hat für sein Drehbuch 1990 den Oscar® bekommen.

Wenn der Schüler bereit ist …

Wie du die richtige Mentorin findest? Nun ja, wenn der Schüler bereit ist … Aber du kannst auch Ausschau halten nach Menschen, die bereits in einer ähnlichen Situation waren, in der du dich mit deinen aktuellen Fragen befindest. Ich hatte oft Mentoren, die bis heute nichts davon wissen. Es sind die Biografien von außergewöhnlichen Menschen oder ihre Sachbücher. 

Wir können, glaube ich, mit belastbarer Verlässlichkeit davon ausgehen, dass sich unsere Fragen viele, viele andere Menschen ebenfalls bereits gestellt und einige über ihre Antworten Bücher geschrieben haben. Die Wege des Lebens sind nicht so unterschiedlich, wie es unsere Lebenswege erscheinen lassen, oder wie Kahlil Gibran wusste: „If we were all to sit in a circle and confess our sins, we would laugh at each other for lack of originality.“

Wenn du eine Mentorin in Fleisch und Blut hast, dann vergiss nicht, dass es immer um deine Fragen geht, um deine Antworten, um deine Entscheidungen. Die nimmt dir niemand ab! Deshalb mein ganz, ganz dringender Hinweis im Range eines Verfassungsgesetzes: Fang bloß nicht damit an, die Richtigkeit des Rates deines Mentors zu diskutieren! Darum geht’s nicht. 

Und: Ein Freund kann dein Mentor sein, aber der Mentor muss nicht dein Freund sein. Wenn du einen Freund brauchst, besorg dir einen Hund; wenn du dich ausweinen willst, besorg dir eine Schmusedecke; wenn du bewundernde Bestätigung suchst für das, was du tust, ruf deine Oma an. Und wenn du von allen geliebt werden willst, verwandle dich in eine Pizza.

Ein Mentor ist kein Auftragserfüller, dessen Job dann getan ist, wenn ihr einer Meinung seid (oder er deiner Meinung ist), sondern für die Wahrheit zuständig. 

Streich das Wort „aber“ aus deinem Wortschatz, stelle Fragen, damit du die Sichtweise des Mentors verstehst, und nütze diese Inputs. Wenn du das Gefühl hast, der Rat bringt dir nichts, oder das Vertrauen fehlt, such dir einen anderen Mentor, aber verschwende nicht die Lebenszeit zweier Menschen. „Carpe diem!“ würde John Keating jetzt Horaz zitieren …

Wenn ich mit Kreativ-Gruppen arbeite, und die Teams präsentieren Vorschläge, dann gibt es im oben besprochenen Sinn drei eherne Gesetze fürs Feedback.
1) Niemand sagt in den Kommentaren „aber“, sondern nur „und“.
2) Niemand kritisiert, sondern man stellt ausschließlich Fragen.
3) Die Präsentatoren antworten auf die Fragen nicht, sondern notieren sie und diskutieren sie später unter sich.
Das ist Feedback by Mentoring. Probier das einmal aus, und du wirst staunen, um wie viel größer und besser das Ergebnis sein wird und um wie viel besser das Teamwork funktioniert, weil so eine neue Ebene des Vertrauens entsteht oder wenigstens vorhandenes Vertrauen nicht untergraben wird. Es geht nicht mehr ums Rechthaben und ums Verteidigen, sondern nur noch um eine Sache, die plötzlich zum gemeinsamen Anliegen wird.

Und nimm bitte unerbetenen Rat von niemandem an, den du nicht auch aktiv darum fragen würdest. Diese Ohrenbläser beraten sich im Umweg über dein Gehirn meistens nur selbst schlecht, zu Themen, bei denen sie dringend Hilfe bräuchten.

Ausweg aus dem Eigentlich …

Mit Spezialisten dieses Kalibers feuert derzeit das WorldWideWeb aus allen Social-Media-Rohren auf die fast wehrlosen User und bestätigt eindrucksvoll, dass sich, wie in jedem Tempel, viele berufen fühlen, aber nur wenige auserwählt sind. Gleichzeitig unterstreicht das Milliardenbusiness Coaching/Selbsthilfe/Persönlichkeitsentwicklung mit dickem Filzstift, wie sehr auf Erden gute Lehrer und Mentoren fehlen, die rechtzeitig dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt. 

Wie viele Menschen sagen „eigentlich hätte ich … lieber würde ich … irgendwann werde ich“ und führen ihr Leben im Konjunktiv, beenden ihr Leben nach der Ausbildung, schlagen Tag für Tag die Zeit tot, während sie 60 Jahre aufs Begräbnis warten? Warum tun die das? Richtig, weil zum passenden Zeitpunkt niemand da war, der zugehört, verstanden und gezeigt hat. Ein Mentor – zum Beispiel in der Rolle eines Lehrers … 

Irgendjemand sagte einmal: „Wir haben keine Freunde und Feinde, wir haben nur Lehrer.“ So gesehen begegnen einem Mentoren auf Schritt und Tritt. Besonders jene, über die wir uns im Alltag besonders ärgern, sind vermutlich die praktisch-wertvollsten, weil sie uns Spiegel vorhalten und uns an uns selbst erinnern. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, nützt uns das doppelt. Einerseits, weil wir uns über die Alltagsdeppen nicht mehr aufregen, sondern ihren – wenn auch ungebetenen – Rat dankbar annehmen, und andererseits, weil sich dabei unser Blick auf unser eigenes Alltagsdeppentum schärft. Wenn der Schüler bereit ist …

So können wir auch unsere eigene Rolle verstehen, denn wir sind selbst Mentoren von potenziellen acht Milliarden Helden auf ihrer Reise und können selbst entscheiden, worauf wir unsere Schützlinge hinweisen. Das beginnt bei deren Umgang mit uns. Da sind wir sogar Erzieher: Was wir ihnen erlauben, werden sie tun.

Wenn wir nun also auf die nächsten Wochen vorausschauen, auf diese „neue Normalität“, dann sehen wir ein weites Feld von Chancen und Aufgaben, in denen wir uns bewähren können, ja: müssen. Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten mit Corona eine Mentorin, die uns mit gnadenlosen Hinweisen auf den passenden Weg versorgte. Wenn wir nur einen Futzelfunken dieser Erkenntnisbrunst mit in die nahe Zukunft nehmen, dann könnte es doch der nachweislich erlebte Ansatz „Füreinander“ sein, oder?

Wir könnten einander Mentoren sein, Empathisten und Ermöglicher.

Wir könnten dabei sogar dieselben Egoisten bleiben wie vorher, aber eben das Gesetz der Anziehung befolgen, indem wir die Abkürzung über die Goethe-Straße nehmen: 

„Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu and’rer Glück,
denn das Gute, das wir geben,
kehrt ins eig’ne Herz zurück.”

Mensch, das wär’ doch was!

Die Welt braucht Mentoren, und wenn du keinen hast, dann kannst du jedenfalls einer sein. Sei die Mentorin, die du gerne gehabt hättest. Denn wir, die Menschheit, suchen an allen Ecken und Enden nach Perspektive und Orientierung und nach Sinn. Viele von uns kennen den Weg sogar, sehen ihn aber nicht. 

Dafür braucht es Mentoren – für die großen Schritte und die kleinen: Menschen, die Fragen stellen und in Frage stellen, die gelebtes Leben erzählen, ihre Geschichten mit anderen teilen. 

Unser Dasein besteht aus einem dichten Netz von kleinen Geschichten, in denen wir selbst die Hauptdarsteller sind, jeder in seiner; und einander Mentoren, jeder dem anderen. Jeder von uns, jede von uns, kann sich als Heldin und Mentorin gleichermaßen erweisen, weil sie das tut, was Helden und Mentoren auf ihrer Reise machen: erkennen, verstehen, verwandeln und andere dabei begleiten – oh Captain, my Captain! Mit unseren Storys machen wir einander stark: als Menschen, als Teams, als Gesellschaft.

Und im Übrigen war es nicht Gandalf, sondern meine Großmutter, die alte Story Dudette, die Frodo Beutlin in einen der Ringe die Zauberworte gravierte: „No Story. No Glory.“

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