Markus Gull

Warum verwechseln viele Politiker ihren Job mit Storytelling?

„Das ist für dich ja ein echtes Glück, dass schon wieder eine Wahl kommt“, sagte P. am Telefon, und ich wusste nicht so recht, ob sie „Gratuliere!“ oder „Ätsch!“ meinte. Was sie aber definitiv meinte: Kaum riecht’s nach Wahl, fragen sich die politischen Akteure „Wie bringen wir unsere Story am besten rüber?!?“, und viele fragen nicht nur sich, sondern auch mich. Erntedank, quasi.

Den allermeisten kann ich nicht helfen.

Ich könnte auch keinem Buchhändler helfen, der Bücher ins Schaufenster legt, aber im Laden nur die Cover der Bücher anbietet und mich fragt: „Wie bringe ich die Menschen dazu, mehr zu lesen?“


ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!


So gesehen sind der anlaufende Nationalratswahlkampf in Österreich und die aktuelle tektonische Parteienplattenverschiebung in Deutschland samt Bundestagswahlkampf, der schon listig um die Ecke lugt, ein wahres Beobachtungs- & Forschungsparadies für uns Story Insider. In diesem Paradies wuchert ein dichter Wald aus Bäumen der Erkenntnis, und wenn wir von ihren Früchten essen, erkennen wir uns naturgemäß selbst. Vielleicht erkennen wir auch einander – wenn’s sein soll, sogar im biblischen Sinn –, aber gewiss erkennen wir, wer sonst noch aller nackt herumrennt. Zum Glück ist es Sommer … 

Hier also ein paar Erkenntnisse, die wir für unsere Arbeit in allen Bereichen gut nützen können. Schließlich heißt es ja: „Politics is show business for ugly people.“ Es geht also um Show und um Business, beides will gelernt und gekonnt sein.

Am Anfang stand das Produkt.

Es gibt kein Unternehmen, keine Dienstleistung, keine Partei, kein Service, keine Organisation und keine Erfindung, die nicht als Reaktion auf irgendein Problem, als Lösung für ein Bedürfnis gegründet wurde. Letztlich haben wir alle die gleichen Bedürfnisse und Wünsche, egal wer und wo wir sind. Wir wollen in Gesundheit, Frieden und Wohlstand leben und dabei gesehen und gehört werden, also relevant sein und somit Sinn erfahren.

Was das für den Einzelnen konkret bedeutet, sieht für jeden von uns anders aus, und der Weg dorthin ebenso. Es gibt sogar unterschiedliche Wege, die zu ein und demselben konkreten Ziel führen. Hier kommen unsere Werte ordnend ins Spiel, die wir verwirklicht sehen wollen.

Mittlerweile gibt es für jeden Bedarf unterschiedliche Produkte, die sich in Preis und Leistung gleichen. Die einzige Unterscheidung, die möglich ist, ist ihre Story, ihre Werte, ihre Bedeutung und die Beziehung, die sie darauf aufbauend mit ihrem Publikum erlebbar begründen.

Am Anfang steht also nicht das Produkt, sondern es stand. Wenn es nämlich nicht von einer konkreten Bedeutungswelt getragen wird, ist es sinn-los und wert-los. Aber wenn allein die Bedeutungswelt angeboten wird, ohne echte Lösung, steht der Kunde mit leeren Händen da. Irgendwann bemerkt er das unter Garantie. Kaugummi kauen sieht nur aus wie essen, nährt aber nicht.

In der Politik gibt es zwei, eigentlich drei Denkschulen, die stets konkurrieren.
Schule 1: Wir brauchen konkrete Lösungen für die Probleme und die richtigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit.
Schule 2: Wahlprogramme werden sowieso von niemandem gelesen. Wir brauchen knappe emotionale Botschaften, die flutschen.
Schule 3: Scheiß der Hund die Wand an, wir müssen Wahlen gewinnen, dafür sind Parteien schließlich da.

Alle drei Schulen sind falsch. Alle drei Schulen sind richtig.

  1. Du brauchst konkrete Lösungen, aber Lösungen hat jeder. Lösungen sind auch nicht der Unternehmenszweck von Politik, sondern dessen Ergebnis. Politik ist nämlich nicht Management, sondern Unternehmertum. Fürs Management haben wir Beamte, angeblich sogar eine ganze Menge, habe ich gehört. IKEA verkauft keine Möbel, sondern die Ausgestaltung des Zuhauses. Das Angebot der New York Times sind keine Nachrichten, sondern Truth, Coca-Cola verkauft keine Getränke, sondern Happiness in a Bottle. Was verkaufen eigentlich Parteien?
  2. Wir treffen unsere Entscheidungen emotional, gnadenlos. Was wir aber unbedingt ergänzend brauchen, sind die logischen, nachprüfbaren Fakten als Begründung und Bestätigung unserer emotionalen Entscheidungen. Die Frage dahinter lautet immer: Verbessere ich durch die Entscheidung meinen Status in einem – oder in mehreren – folgender vier Felder?
    • Verbessere ich meine Wirtschaftlichkeit – ist etwas billiger, sinken die Steuern; hält das Ding länger als andere, bekomme ich eine Förderung …?
    • Erleichtert es mir das Leben – ist etwas praktisch, muss ich nicht mehr aufs Amt; muss ich weniger schleppen, verschwinden bürokratische Regeln …?
    • Erhöht es meine Möglichkeiten – ich brauch’ nur mehr ein Gerät für Telefon, E-Mail, Musik und Web; ich kann mit einer Ausbildung mehr Berufe ausüben; bei diesem Auto kann ich die Sitzbänke umlegen und das Dach aufmachen; ich kann nun in mehr Länder exportieren …?
    • Bringt es mir Prestige – werde ich als bewusster Konsument bewundert; wähle ich die umweltfreundlichste Gruppe, bin ich eine moderne Auskennerin, weil ich das angesagte neue Teil als Erste habe; stehe ich in der Reihe der siegreichen Zukunftshoffnung …?
  1. Unternehmen müssen Geld verdienen, Parteien müssen Wahlen gewinnen, sonst wird es sie irgendwann nicht mehr geben. Unternehmen, die denken, ihre alleinige Aufgabe sei, Geld zu verdienen, wird es irgendwann nicht mehr geben; Parteien, die nur auf Wählerstimmen aus sind, ebenfalls nicht. Warum nicht? Weil sie ihren Zweck nicht erfüllen.
    Die Ausrichtung aufs Gewinnen mag schon eine gewisse Zeit klappen, trägt jedoch den Keim des Scheiterns in sich. Unternehmen und Organisationen, die zu ihrem Publikum sprechen, aber sich selbst meinen, werden irgendwann nicht mehr gehört, weil jeder nur seine eigene Geschichte hören will. Nur wenn sich die Geschichte des Erzählers in der des Zuhörers findet, dann entsteht Beziehung in der gemeinsamen Bedeutung. Die Mehrheit bei einer Wahl ist wichtig, aber genauso wenig ein Bestandsgarant wie Umsatz und Gewinn bei einem Unternehmen, weil beides in Tat und Wahrheit nicht relevant ist. Wer beobachten will, wie Verlust an Relevanz aussieht und was das bedeutet, der soll sich mit wachem Blick an den Abgrund stellen und dort das Treiben der Sozialdemokratie in Europa verfolgen; und das manch andere tradierte Volkspartei gibt’s dort ebenfalls zu sehen. Sie blicken mit zugekniffenen Augen nach vorn und erkennen tief unten in der Schlucht ihre Relevanz …

Die heilige Storytelling-Dreifaltigkeit: People – Purpose – Mission.

In der Kommunikation von gesellschaftlichen Anliegen gilt ein ehernes Gesetz, und wie ich die Sache sehe, wird sich daran nichts ändern. Es lautet: „Kein Thema ohne Mensch, kein Mensch ohne Thema.“ Dieses Gesetz gilt sinngemäß für alles, was Führungskultur betrifft. Anführer ohne starkes Thema sind hohl – Themen, die nicht mit Gesichtern verbunden werden, sind gesichtslos. Niemand mag gesichtslose Hohlräume. Das führt oft dazu, dass Thema & Mensch mit Mensch ist Thema verwechselt wird, weil besonders charismatische Menschen mitunter das Thema überlagern und der Eindruck entsteht, es ginge sowieso nur noch um die Menschen und um sympathische Gesichter.

Das führt weiters dazu, dass Anführer zu Projektionsflächen ihres Publikums werden. Es ist schon gut, dass Anführer auch als Vorbilder dafür taugen, wie man selbst gerne wäre, denn das zieht andere mit: Steve Jobs, Sebastian Kurz, Greta Thunberg. Wenn das aber alles ist und dabei bleibt, verhungert die Mission irgendwann, spätestens dann, wenn die Anführerin weg ist.

Wenn’s nur noch darum geht, dann wird die reale Notwendigkeit, dass Anführer Projektoren sein müssen, verkürzt und vergiftet. Projektoren, die Zukunftsbilder an die Wand werfen und ihre Gemeinschaft dann dafür gewinnen, dieses Bild gemeinsam mit ihnen mit Farben zu füllen und lebendig zu machen.

Anführer bist du ab jenem Augenblick, in dem mindestens ein zweiter Mensch an deiner Seite ist und du mit diesem Menschen ein gemeinsames Ziel erreichen willst.
People – Purpose – Mission – Anführer bringen Bewegung in Menschen und Menschen in Bewegung. Das ist Führung von Teams, Unternehmen, Organisationen, NGOs, Parteien, Gesellschaften, Religionen, Regierungen, Staaten.

Und denke nie, dass eine einzelne Person nichts verändern kann, sondern merken wir uns lieber auf ewig den Satz der amerikanischen Anthropologin Margaret Mead: „Never doubt that a small group of thoughtful, committed, citizens can change the world. Indeed, it is the only thing that ever has.“

Eine steht auf, und andere machen mit. Oder eine bleibt sitzen, wie Rosa Parks, und verändert dadurch ihre Welt …

People – Purpose – Mission – diese Dreifaltigkeit arbeitet als Algorithmus im Betriebssystem von Politik und von Führung insgesamt. Erstaunlich oft wird genau diese einfache Regel missachtet, und wenn es irgendwo holpert, funktioniert häufig genau dieses Räderwerk nicht. Fürs Change-Management von Unternehmen gilt das ebenso, und wenn man versteht, was die nächsten Jahre an substanziellen Veränderungen in unserem Wirtschaftssystem fordern werden, dann weiß man, dass Change-Management keine Spezialdisziplin ist, die man bei Bedarf zukauft, sondern eine der Basic-Skills, die jeder Mensch, der führt, dringend entwickeln und kultivieren muss. Hier habe ich einige Gedanken und drei gute Tricks zum Thema Veränderung aufgeschrieben. 

Seit die Menschheit Bewusstsein entwickelte, ist Story die beste Methode dafür, zumal auch aus einem recht profanen Grund: Über die Zukunft gibt es keine Fakten, und wir können nur in Träumen, Sehnsüchten, Wünschen, Hoffnung und Zielen sprechen, wenn wir uns das Bild einer Zukunft ausmalen, von der wir überzeugt sind, dass sie (noch) besser sein kann als die Gegenwart. Wir müssen die Herzen erreichen, denn dort entsteht Hoffnung, der einzige Motor für Bewegung. Hoffnung bewegt alles, treibt Unternehmen und Organisationen, startet und trägt Revolutionen. „We have hope. Rebellions are built on hope“, sagt Jyn Erso in Star Wars: Rogue One. 

Schau dir mal dieses Video an, es zeigt die letzte Rede, die Ronald Reagan als Präsident der USA hielt.

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Denk einmal nach: Wann hast du zuletzt jemanden auf einer politischen Bühne von einer – besseren – Welt sprechen hören, einer Welt, wie sie sein könnte? Aber wie oft geht es dafür in Diskussionen um „faktenbasierte Entscheidungen/evidence-based policy“ und um alles, was daher nicht sein darf und genau so sein muss? 

Daran erkennst du den Unterschied zwischen Management und Unternehmertum. Daran erkennst du, was der Politik heute so bitter fehlt: Menschen, die über ihren Purpose, der sie treibt, Hoffnung vermitteln.

Ja, ja – die guten alten Fakten. Wir lieben sie, und die trügerische Sicherheit, die sie uns verheißen, lieben wir noch mehr. Doch wie sagt man: Planung ist nur das Ersetzen von Zufall durch Irrtum …

Das Dilemma mit dem Dilemma.

Politikerinnen sind Anführer in die Zukunft und gleichzeitig dafür da, jeden Tag viele, viele große und kleine Entscheidungen zu treffen. Das Gefinkelte daran ist, dass es dabei praktisch nie um Entscheidungen zwischen objektiv und eindeutig richtig und falsch oder gut und schlecht geht, denn das wäre ja einfach und könnte von jedem halbwegs funktionierenden Deppen erledigt werden. – Allerdings: Sogar bei der Frage, ob man ertrinkende Menschen rettet, gibt es neuerdings zwei Entscheidungsmöglichkeiten, und dafür, dass es überhaupt so weit gekommen ist, brauchte es nicht halbwegs funktionierende Deppen, sondern hochfunktionale Zyniker …

Die echte und täglich herausfordernde Aufgabe im politischen Betrieb stellt sich jedoch darin, dass es gilt, zwischen zwei guten und zwei schlechten Lösungen zu entscheiden – ein Dilemma also. Dieses Dilemma sieht häufig nach einer Entscheidung zwischen dem richtigen und dem leichten Weg aus, zwischen der richtigen Entscheidung und der, die man leichter erklären kann, oder zwischen der richtigen und jener, die einem selbst nützt, oder für die richtige, die einem selbst schadet, zwischen kurzfristigem Effekt und langfristiger Lösung.

Auch hier hilft, wenn man seine Story kennt, also nicht bloß das Erzähl- und Verkaufstool nützt, sondern den Kern davon, den Purpose, das Anliegen, die Werte aktiviert. Denn wer seine Werte kennt, hat es bei jeder Entscheidung einfach, wenn auch nicht unbedingt leicht.

Willkommen in der Zwickmühle!

Wenn wir uns fiktionale Storys ansehen, dann ist es eben das Dilemma, das die Geschichte für uns relevant und spannend macht. Der Character sitzt in der Zwickmühle, muss eine Entscheidung treffen und dabei meistens über seinen Schatten springen. Dadurch entwickelt er sich selbst weiter, wächst daran, lernt und gewinnt etwas Größeres als den Spatz in der Hand. So ist die Hauptfigur einer Geschichte unsere Stellvertreterin in der Zwickmühle. Wir stellen uns unterbewusst die Frage: „Was würde ich in dieser Situation tun?“ In der komfortablen Position am Sofa mit dem Buch in der Hand, im Kino- oder am Theaterstuhl lernen wir dadurch etwas über uns selbst und über das Leben, ohne selbst durch das Schmerzensloch des Dilemmas kriechen zu müssen. Virtual Reality auf analog, sozusagen.

Dieser qualvolle, reinigende und stärkend verwandelnde Erkenntnisprozess der Katharsis führt schließlich zum so genannten dornigen Weg zurück in die alte Welt. Auf diesem Weg erfährt die Hauptfigur, dass gelernt und verstanden zwei unterschiedliche Zustände sind. Erst wenn das Gelernte zur angewandten, gelebten Realität wird und die Heldin das ihrem Umfeld vermitteln kann, schließt sich der Kreis zum gemäßen Ende.

Höchste Zeit für eine geschmeidige Katharsis, Baby!

Wäre das nicht eine große Notwendigkeit, wenn sich politische Anführer, die gesamte Politik und damit unsere Gesellschaft in diesem gleichen Bogen verwandeln würden? Wenn Politiker das Richtige tun, weil es richtig ist, den Menschen die Wahrheit sagen und diese so gut erzählen, dass sie den schmerzhaften Weg der Katharsis mitgehen, weil sie nicht nur die Gewissheit haben, morgen in einer besseren Welt aufwachen zu können, sondern auch die berechtigte Hoffnung, dass es geschehen wird?

Ob das möglich ist?

Erinnern wir uns an Winston Churchills Rede am 13. May 1940 im House of Commons: „We are in the preliminary stage of one of the greatest battles in history … That we are in action at many points — in Norway and in Holland —, that we have to be prepared in the Mediterranean. That the air battle is continuous, and that many preparations have to be made here at home.

I would say to the House as I said to those who have joined this government: ,I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat.‘ We have before us an ordeal of the most grievous kind. We have before us many, many long months of struggle and of suffering.

You ask, what is our policy? I will say: It is to wage war, by sea, land and air, with all our might and with all the strength that God can give us; to wage war against a monstrous tyranny, never surpassed in the dark and lamentable catalogue of human crime. That is our policy. You ask, what is our aim? I can answer in one word: Victory. Victory at all costs —Victory in spite of all terror — Victory, however long and hard the road may be, for without victory there is no survival.“

Winston Churchill wurde übrigens 1953 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Erinnern wir uns an die Weihnachtsansprache des österreichischen Bundeskanzlers Leopold Figl im Jahr 1945: „In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Weihnachten ist für uns ein Hochfest der Familie. Es wird heuer leider kein Weihnachten sein, so wie wir es gerne haben möchten. Auf den Christbäumen, wenn wir welche haben, wird ein schönes Päckchen voll Sorgen hängen.

Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“

Wäre das nicht etwas, woran eine Gesellschaft, in der das Gegeneinander, das Vulgäre, Laute, Hämische, Perfide zunehmend erfolgreicher wird, in der die flotten Sager scheinbar mehr zählen als das Gesagte, wachsen und reifen könnte, auch wenn das vermutlich eine Generation lang dauern wird? Wäre es nicht hoch an der Zeit, in einer Zeit, in der die Hintertür zum Haupteingang und der Hintergedanke der einzige ist, der noch gefasst wird, in dem Taktik nicht nur Strategie, sondern auch Takt ablöst, in der die Intrige mehr wiegt als Integrität, in der Kampagnen gefragter sind als Kompetenz, Reflexe blitzen statt Reflektion; in einer Zeit, in der es um den Knalleffekt geht, um die Wirkung am Instagram-Feed und nicht mehr um die Wirkung für kommende Generationen, wäre dieses Katharsis nicht schon eine für sich teilenswerte Story?

Ich denke, ja. Ich bin sogar fest davon überzeugt und bin damit nicht allein.

Sind Unternehmer die neuen Gestalter der Welt?

Politiker suchen mit Meinungsumfragen Marktlücken ab, damit sie dort einen billigen Wählervorteil möglichst teuer hineinverkaufen und so den schnellen Profit machen, weil sie sich „Wahltag ist Zahltag“ so oft selbst erzählt haben, dass sie es noch glauben, während sie sich selbst nur noch beim Schweigen zuhören. Sie suchen Storys und meinen Framings, sie schwänzen ihren Beruf und enthalten der Gesellschaft ihr Recht auf ihre Spitze vor. 

Dieses Vakuum saugt die Kraft von begeisternden Unternehmen an, die mehr vorhaben als Kohle zu machen. Von denen gibt es immer mehr.

Ich finde es ganz grundsätzlich nötig, wichtig und sinn-voll, dass sich Unternehmen und Marken um gesellschaftliche Anliegen kümmern, genauso wie das jeder Einzelne von uns machen sollte, weil ja bereits Erich Kästner wusste: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Für jene mit der reflexhaften „Ich allein kann doch nicht …“-Ausrede: siehe oben.

Unternehmen und Marken nehmen ja für sich in Anspruch, wichtige, tragende Säulen der Gesellschaft, des Wohlstandes und der Kultur im weitesten Sinne zu sein, was ich mit heißer Tinte aus dickem Füller unterschreibe. Allerdings verlangt das, dass sie sich genau so verhalten. Denn nahezu jedes Unternehmen hat doch irgendwo in seinen Leitsätzen stehen: „Verantwortung, Nachhaltigkeit, Einklang mit Natur und Umwelt“. Und du musst nicht lange in Leitbildern und Vision-Mission-Statements herumsuchen, bis irgendwann der Mensch im ziemlich dicht besiedelten Mittelpunkt herumsteht, oder?

Die Wahrheit ist: Die Führungskraft bei Erneuerung wird ihnen von den Menschen nicht nur zugetraut, sie verlangen es sogar.
Sehen wir im aktuellen repräsentativen internationalen Edelman-Report nach:

53 % der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Marken mehr zur Beseitigung sozialer Missstände tun können als Regierungen; fast die Hälfte sagt, Marken haben dafür auch die besseren Ideen.

64 % sagen, CEOs sollen positive Veränderungen einleiten und nicht darauf warten, dass sie von Regierungen angeordnet werden.

54 % glauben, es sei einfacher, Marken anstatt Regierungen dazu zu bringen, gesellschaftliche Verbesserungen in Angriff zu nehmen.

Oder wie eine Untersuchung der Julius-Raab-Stiftung aus Österreich zeigt: Von Mediennutzung über den Arbeitsmarkt, Bildung und Ausbildung bis hin zu Nachhaltigkeit, Umweltschutz, medizinischer Versorgung und zum Finanzmarkt trauen die Menschen den Unternehmen mehr Problemlösungskompetenz zu als der Politik oder NGOs.

Als Entwickler neuer sozialer Systeme werden die Unternehmen von 89 % als sehr oder einigermaßen wichtig gesehen.

Dass Unternehmen und Marken mit Bedeutung auch wirtschaftlich erfolgreicher sind als andere, ist sowieso seit über zehn Jahren nachgewiesen und hat längst sogar Money-Gorillas wie Laurence D. Fink und BlackRock überzeugt. An schnöden Shareholder Value würde mittlerweile vermutlich nicht einmal mehr Milton Friedman glauben, während diese Art des Denkens schließlich in der Politik angekommen ist.

Wer sehen kann, der wird erkennen, wo heute die Zukunft einer Gesellschaft geboren wird. Dort wo die Herzen von Yvon Chouinard und Patagonia schlagen, oder die von Hermann & Thomas Neuburger und Hermann, von Richard Branson, von Philipp Siefer & Waldemar Zeiler und Einhorn, von Elon Musk, von Ben Cohen & Jerry Greenfield …  

Alle zusammen und jeder für sich hat etwas, das Politik gerne hätte und dringend bräuchte: eine begeisternde Story, die Bewegung in die Menschen bringt.

Denn egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen – jeder Mensch, jedes Unternehmen, jede Partei und jede NGO hat und braucht Sinn, eine Mission, einen Purpose, also mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. So entsteht Resonanz. So gewinnt man gleichgesinnte Mitstreiter.

Wenn du in deiner Story keinen Purpose vermitteln kannst, bleibt dir nur noch ein einziges Thema: der kleine Preis, beziehungsweise das Wahlzuckerl. Und das ist erwiesenermaßen ein Geschenk, mit dem man sich selbst verkauft und alle anderen für blöd.

Allen, die also sagen: „Für mich und meine Marke und meine Partei gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, auf die erste Seite von „Die kleine Politikerfibel“ aus der allseits beliebten Perlenreihe schrieb: „No Story. No Glory.“

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