Markus Gull

Warum Du Dir die Fasten-Story falsch erzählst.

„Hurra! Endlich ist die Fastenzeit vorbei, und wir dürfen wieder …!“ – Abseits der religiösen Gebote nützen viele von uns die 40 Tage vor Ostern (wie auch den Advent) für eine Fastenkur. Klassisch wird auf Fleisch, Alkohol und Zucker verzichtet. Manche verzichten auch auf anderes: auf Shoppen, Social-Media-Orgien oder Binge-Watchen zum Beispiel. Und dann, ab Ostersonntag, ist’s endlich vorbei mit der elenden Askese, die Selbstkasteiung hat ein Ende, man lässt die Zügel schießen. Prost, Mahlzeit + obligatorisches Posting der Schlemmschlacht im gestreckten Galopp. Jetzt dürfen wir wieder alles – ergo: Frohe Ostern!

Was für ein Irrtum!


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Wer sich die Story übers Fasten so selbst erzählt, macht sich nämlich selbst das Leben unnötig schwer und bringt sich am Ende um einen großen, um den entscheidenden Teil des Erfolgsgenusses.

Fastenzeiten sind ganz wunderbare Erlebnisse. Gleichzeitig machen Fastenzeiten für Story-Insider ausgezeichnet lebendig, worum es bei der Kraft von Storys generell und wirklich geht: um die richtige, um eine neue Perspektive und immer um Verwandlung. Vor allem bei unserer inneren Story, bei der Geschichte, die wir uns selbst erzählen, bei der entscheidenden also, geht’s darum.

Perspektive und Verwandlung.

Die äußere Story, die Handlung, ist uns ja allen bestens bekannt und schnell beschrieben. Am Aschermittwoch stopfen wir uns beim Heringsschmaus noch einmal so richtig voll und schwemmen uns, damit Fisch & Beifang vorschriftsmäßig dreimal schwimmen, das ganze Menü mit einem Hektoliter Chablis in den Pansen. Am nächsten Tag ist uns hauptsächlich schlecht, mitunter stellt sich sogar morgendlicher Retour-Hunger ein. Der Übergang in den Völlerei-Verzicht fällt also nach so einem – wie die Leut’ früher sagten – dem Herrgott gestohlenen Tag nicht wirklich schwer. Aber dann folgen noch 39 weitere harte Tage, in denen uns ständig ein Gedanke von Oscar Wilde in den Sinn kommt: „Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.“ Doch wir bleiben standhaft tapfer. Aber wie! Vielleicht verlieren wir sogar manch überflüssiges Kilo in Vorbereitung auf Colomba & Pinze mit reichlich Butter? – Same procedure as every year, Miss Sophie …

Das kleine Story-ABC.

Die innere Story zeigt uns jedoch, wie schlau wir sind. Sie folgt wie jede Story – das wissen Story-Insider – dem Modell des Kleinen Story-ABC, das nicht der Osterhase, sondern El Story-Duderino ins Nest gelegt hat. Genau genommen war es gar nicht er, sondern die Evolution, die uns dieses universelle Denk- & Erkenntnismuster in unser Storytelling-Animal-Betriebssystem einprogrammierte:
Aufbruch
Bewährung
Comeback

Man könnte auch
Separation
Initiation/Transformation
Reinkarnation
dazu sagen, aber ABC ist viel leichter zu merken, stimmt’s?

Aufbruch, Bewährung, Comeback – das ist unsere natürliche Art, zu denken. So denkt es in uns.

Beim Fasten funktioniert das so (und bald sehen wir dann auch, wie die richtige Fasten-Story geht):

Beherzter Aufbruch.

Irgendwas treibt uns dazu, dass wir aus unserer Komfortzone, aus dem vertrauten Hafen, aus unserer gewohnten Welt aufbrechen. Aufbrechen müssen! Weil das Unbehagen im Gewohnten so übergroß ist, dass sogar die schmerzliche Unsicherheit darüber, was außerhalb unserer gewohnten Welt sein wird, kleiner ist als die Angst davor. Das ist unser Beweggrund:

  • Meine Smartphone-User-App zeigt: Ich bin jeden Tag drei Stunden auf Social Media – das bedeutet über zweienhalb Arbeitstage pro Woche?!? Also 40 Tage Handyfasten & Digital Detox!
  • Meine Waage signalisiert: Noch ein Kilo mehr, und du bekommst eine eigene Postleitzahl zugeteilt. Also 40 Tage Hausverbot für Pizza, Amarone, Ben & Jerry!
  • Wahnsinn! Beim Herauskramen der Frühlings- und Sommergarderobe hast du gezählte 17 weiße T-Shirts entdeckt, vier davon noch mit Original-Etikett von 2019? Also 40 Tage Shop-Stopp inklusive Schlussverkauf-Schnäppchen-Vollbremsung!

You get the idea, Miss Sophie? Wir verabschieden uns offiziell und feierlich vom gewohnten Verhalten: Separation.

Heldenhafte Bewährung.

Das läuft einige Zeit wirklich gut. Aber dann kommt naturgemäß der Teufel ins Spiel. Der steckt nämlich nicht nur im Detail, sondern überall. Und das Teuflische am Teufel ist bekanntlich, dass er uns glauben macht, es gäbe ihn gar nicht. Das Böse in tausend Gestalten. Dämon und Daimon steigen in den Ring zum Rumble in the Jungle auf Nestroysche Art: „Jetzt bin ich wirklich neugierig, wer stärker ist, ich oder ich.“

Schnell was googeln und bei dieser Gelegenheit kurz facebook und schnell Instagram und nur eine Minute noch …: stopp!!!
Nein, auch keine Vollkorn-Pizza.
Und der nächste Sommer wird mit 18 weißen T-Shirts im Kasten um keinen Deut schöner als er mit deren 17 schon nicht sein wird.
Und siehe: mit jeder bestandenen Bewährungsprobe fällt dir die nächste leichter. Du eroberst dir diese neue unbekannte Welt, machst sie dir vertraut, gewöhnst dich an sie, fühlst dich … ja: gut. Mehr noch: du fühlst dich besser als vorher:

  • Du hast erstaunlich viel Zeit für dich, fürs Lesen, für deine Familie.
  • Wenn du aus der Dusche kommst, rinnen eines Tages nicht mehr anderthalb Liter Wasser aus deinem Bauchnabel.
  • Was wäre, wenn ich von den identischen T-Shirts (und den identischen blauen Pullis und vom turmhohen Stapel praktisch gleicher Jeans …) überhaupt nur eines behalte? Dann wäre doch plötzlich im Kleiderkasten einiges an Platz frei.

Wir entdecken ein neues befreites, erleichtertes Lebensgefühl. Wir werden aufgenommen in die neue Welt der zeithabenden, beweglichen und noch immer ausreichend Bekleideten und verwandeln uns dabei, wenigstens ein kleines Stück, in jemand, der wir gerne sind. Dank der Bewährung im Verzicht entwickeln wir ein neues Gefühl für unsere Problemfelder, aus denen wir aufgebrochen sind: Initiation und Transformation.

Wenn wir nun klug sind, kapieren wir etwas, besser gesagt: begreifen; besser noch: verstehen wir etwas und wachsen daran. Der beherzte Sprung über den eigenen Schatten findet statt, und das, was sich anfangs wie Verzicht anfühlte, erleben wir jetzt als Befreiung.

  • Befreiung vom Newslärm und Social-Media-Geschnatter, mit dem listige Algorithmenbastler dank uns gestohlener Lebenszeit eine Menge Kohle verdienen.
  • Befreiung von Unbeweglichkeit und von der täglichen Mühe mit dem verfluchten Hosenknopf.
  • Befreiung vom Zuviel, das uns, Hand aufs Herz, jetzt, wo’s weg ist, stets unterbewusst belastet hat, allemal bei jedem Blick in die T-Shirt-Lade.

Wir haben eine neue Perspektive gewonnen. Wenn wir ganz smart sind, haben wir in einem Aufwaschen auch gelernt, dass wir mit einer neuen Perspektive für unsere Geschichte in vielen anderen Fällen auch aus der passiven, im Leid gefangenen Nebenrolle im eigenen Leben herauskommen und zu agierenden, selbstbestimmten Hauptdarstellern werden können. Kurz gesagt: Wir haben die Kraft der inneren Story entdeckt und können sie mannigfaltig nützen. Denn die kluge Story des Fastens erzählt nicht von Verzicht, sondern von Befreiung.

Es gibt kaum einen Menschen, der sich beim und nach dem Fasten/Detox nicht bald einmal besser fühlte als davor. Und diese in der Bewährung gewonnene Erkenntnis gilt es nun für uns Verwandelte zu beschützen und zu bewahren, wenn wir nach der Fastenzeit wieder zurückkehren in unsere alte Welt und dort beweisen, ob unsere Transformation tatsächlich eine solche war, oder nur ein Ausflug in ein Paradies, in dem wir vom Baum der Unkenntnis naschten.

Sensationelles Comeback.

Sorry, Hermann Maier, aber ein Comeback in die alte Welt kann kaum sensationeller sein als die Rückkehr von Elvis aus seiner lehrreichen Zeit in Hollywood auf die Bühne. Nie war Elvis elvisiger als beim „Comeback Special“ 1968. Elvis hat sich dort nicht nur selbst neu erfunden, sondern im Leder-Jumpsuit auch das, was man mittlerweile als unplugged Konzert kennt, und somit liegt die Latte echt hoch für unsereinen.

Hilft trotzdem nix: Der alles entscheidende Wirkungsbeweis wird nun bei unserer Rückkehr in die alte Welt erbracht, wenn wir zeigen können, ob wir etwas gelernt haben und wenn ja, was. Ob wir gewachsen sind, ob wir in einer besseren Version von uns selbst zurückgekehrt sind und diese erlernte Kostbarkeit mit den Unseren teilen können. Als Vorbilder, als Mentoren, als Unterstützer, meinetwegen auch im Leder-Jumpsuit. Erst dann schließt sich der Kreis.

Wenn nicht, werden wir zu Beginn der nächsten Fastenzeit, während sich die ungelesenen Bücher auf unserem Nachtkästchen stapeln, wir in 25 mittlerweile zu engen weißen T-Shirts stecken, des Morgens einmal mehr als Erstes zum Handy greifen, sinngemäß posten: „Same procedure as every year.“

Das Kleine Story-ABC hat nämlich noch ein D dabei. Es steht für Disruption, weil irgendwas ja immer ist. Gut wäre, wenn’s nicht immer dasselbe wär’ …

Erkenntnisapfel-Spalten.

Übrigens: Ich bin selbst seit langem ein großer Freund des Fastens als Lebensstil und teile, weil’s grad passt, hier meine Erkenntnisse im Story-Insider-Universum.

Meine Digital-Detox-Befreiung vom letzten Sommer halte ich noch ziemlich rigoros durch. Folgende einfache Tricks haben mir schnell spürbare Erfolge beschert, die sich in massiv gewonnener Zeit und großen Umsatzzuwächsen im heimischen Buchhandel bemerkbar machen.

  1. Mein Smartphone ist prinzipiell ein Telefon und ein Messenger-Tool (+ Musik und Navi). Googeln, Nachrichten und Social Media (wenn’s wirklich sein soll) gibt’s nur am Tablet oder am PC.
  2. Das Smartphone bleibt nächtens am Schreibtisch bzw., wenn ich es tagsüber nicht aktiv benutze, in der Jackentasche.
  3. Ich habe immer ein kleines Buch dabei (z. B. Kurzgeschichten), damit ich bei Wartezeiten nicht am Handy lese und unversehens in alte Gewohnheiten verfalle.

Gewohnheit ist prinzipiell das erfolgsentscheidende Stichwort in diesem Themenkreis. Denn fälschlicherweise fällt sehr oft der Einwand: „Ich habe die Willensstärke nicht.“ Es geht allerdings ganz und gar nicht um Willenskraft, sondern um die Veränderung von Gewohnheiten, und die kann sich jeder mit einfachen, listigen Methoden (siehe oben) hurtig umstellen.

In Sachen Ernährung kann ich aus vollem (gesunden) Herzen zu ganzjährigem intermittierendem Fasten in Form von Dinner Cancelling raten, weil ich deutlich wacher, frischer und fitter bin als ohne und niemanden kenne, der das nicht gleich erlebt.

Ich habe mich mit dem Thema ziemlich intensiv beschäftigt und empfehle als Einstieg in die Materie das Buch „Die Anti-Aging Revolution“ von Prof. Johannes Huber und Bernd Österle, die sehr viel Erhellendes aus der Wissenschaft und über einen intensiven Selbstversuch berichten. Das Ganze in leicht lesbarer Form und – was mir immer besonders wichtig ist – undogmatisch.

Verzichten wir beim Fasten auf etwas, oder befreien wir uns vom Zuviel? Alles nur eine Frage der Perspektive, eine Frage der Geschichte, die wir uns selbst darüber erzählen, eine Frage der Erkenntnis, die wir aus dieser Geschichte gewinnen, und was wir daraus machen. Ob wir aufbrechen, uns bewähren und uns verwandeln.

Einmal mehr geht es um unsere innere Story, die uns in so vielen anderen Bereichen auch befreien und stark machen kann als Menschen, als Teams und als Gesellschaft. Und Befreiung ist überhaupt ein wesentliches Kapitel in einer neuen Geschichte, der New Story, die wir in unserer zur Zuvielisation verkrümmten Zivilisation dringend brauchen.

Oder, wie es meine Großmutter, die alte Story Dudette, mit den Krümeln einer morschen Semmel dem alten F. X. Mayer an den Rand seines Suppentellerchens bröselte: „No Story. No Glory.“

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