Markus Gull

Freu Dich, Du hast Scharlach!

Prof. Leopold Kohr ist allzu wenigen bekannt, vielen aber sicher der Satz, dem er zu weltweiter Verbreitung verhalf: „Small is beautiful.” Dieser Satz fasst perfekt zusammen, was Leopold Kohr postulierte, auch wenn er nicht von ihm, sondern von seinem Weggefährten Ernst F. Schumacher stammt.

Prof. Kohr war Philosoph, Nationalökonom, Staatswissenschaftler, mehrfacher Buchautor und Vordenker der Umweltbewegung. Er warnte unentwegt vor Strukturen, die ihre kritische Größe überschreiten, denn das führt unweigerlich zum Zusammenbruch.

Ich hatte das Vergnügen, Leopold Kohr mehrmals persönlich zu begegnen. Eines Tages in den späten 80er Jahren fuhr ich ihn mit meinem sehr abgewohnten Citroen 2V (aka Ente) nachhause und darf also „Chauffeur eines Alternativnobelpreisträgers” auf die Liste meiner Heldentaten setzen, die ich gerne am Lagerfeuer erzähle.

Eine meiner Lieblingsgeschichten von Kohr geht so. Als er ein Knabe war, lag er krank in seinem Bett in Oberndorf bei Salzburg, jenem Ort, in dem man sich heuer zum 200. Geburtstag des dort geschaffenen Liedes „Stille Nacht” freudentrunken in den Armen liegt. Der Vater des kleinen Leopold war Arzt, untersuchte seinen Sohn und präsentierte den Befund mit folgenden Worten: „Leopold, freu dich, du hast Scharlach!”
„Aber, warum soll ich mich freuen, wenn ich Scharlach habe?”, entgegnete der Kleine.
Darauf der Vater: „Wenn du dich nicht freust, hast du auch Scharlach!”

Das ist Story!

Genau genommen: Das ist Führung & Motivation durch Story.

So schubste Vater Kohr seinen Sohn gleich zweimal weiter. Erstens sagt er ihm: „Lass dir den Tag nicht verdrießen – nur weil deine Fieberkurve nach oben zeigt, müssen deine Mundwinkel nicht nach unten hängen.“

Und zweitens führte er ihn mit diesem scheinbaren Paradoxon implizit auf den gerechten Pfad der psychosomatischen Weisheit: „Ein frohes Gemüt trägt wesentlich zur Genesung bei!”

Gekonnte Führung aktiviert Werte, in diesem Fall: Freude. Die perfekte Darreichunsgform von Werten ist, wie wir Ärzte wissen, Story. Am besten dreimal täglich mindestens, denn dann entsteht das lebenswichtige Seelenvitamin namens Sinn.

Antoine de Saint-Exupéry war ebenfalls Philosoph, bekanntlich als Autor deutlich besser als als Pilot und hat viel Gutes geschrieben. Du hast bestimmt mindestens ein Exemplar von „Der kleine Prinz” im Regal, mit einer persönlichen Widmung deiner ersten großen Liebe. Oder mit einer Widmung von dir an deine erste große Liebe, die dir das Buch wieder zurückgab, nachdem du nicht mehr die große Liebe warst …

Für uns kleine Story-Prinzen gibt’s einen lebenswichtigen Satz in Sachen Führung & Motivation aus de Saint-Exupérys „Die Stadt in der Wüste”: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer* zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.”

Das ist Story!

Diese Story handelt nicht von einem Schiff. Und sie handelt auch nicht vom weiten Meer. Es ist die Story von Freiheit. Dieser Wert beschreibt die gemeinsame Sehnsucht des Erzählers und seines Publikums.

Wenn wir das verstehen, dann verstehen wir auch, dass Story-Telling viel zu kurz greift und viel mehr Story-Sharing unser Zauberwort ist. Denn Story bedeutet: geteilte gemeinsame Werte.

Immer.

Und ganz besonders, wenn es um Führung & Motivation geht. Dann ensteht Sinn, die Ur-Sehnsucht von uns Menschen.

In einer perfekten Welt verstünden das auch die unzähligen Buzzword-gurgelnden Hipster auf den Festival-& Summit-Bühnen dieser Welt, die nicht ruhig schlafen können, wenn sie bei ihren Keynotes nicht mindestens ein kleines Storytellinghäufchen vors Publikum bullshiten. Aber in einer perfekten Welt würde auch Antoine de Saint-Exupéry seinen Doppeldecker noch über die Wolken pilotieren, und zwar mit einem Lied von Reinhard Mey auf den Lippen.

Was Story kann – in der Kunst und in der Kunst der Marketingkommunikation sowieso, aber auch als Instrument der Führung, zur Motivation, im Innovationsmangement oder für die Persönlichkeitsentwicklung – darüber schreibt ein Typ übrigens gerade ein Buch, und ich kann es nicht erwarten, dass es endlich fertig ist.

In der Zwischenzeit sollten wir es meiner Großmutter, der alten Storydudette gleich tun und uns mit scharlachroten Buchstaben gar nicht small aber beautiful hinter die Ohren schreiben: No Story. No Glory.

*) Gilt sinngemäß auch für Frauen …

 

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