Markus Gull

Ohne PR bleibt PR nur PR.

Während meines Studiums belegte ich unter anderem Publizistik mit Schwerpunkt Public Relations. PR waren seinerzeit eine im Schatten von Werbung darbende Disziplin und wurden mit Pressearbeit und Propaganda verwechselt. Die Qualität von PR-Beratern maß man daran, wie oft sie ihre Auftraggeber in den Medien auftauchen lassen konnten. Heute ist das eher umgekehrt …


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In der professionellen weiten Welt sah man das längst ganz anders. Einer der ersten Sätze aus dem ersten – britischen – Lehrbuch dazu hängt mir bis heute im Gedächtnis: „Public Relations sind das Management der Beziehungen einer Organisation mit ihren Öffentlichkeiten.“ – „Da schau her“, dachte ich mir, „es gibt also nicht nur eine Öffentlichkeit!“

Wenn ich die heutige Gemengelage am Spielfeld der Marketingkommunikation betrachte, scheint mir dieser Satz wie ein Auftrag über allem zu schweben. Die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen zusehends, Öffentlichkeiten und Teilöffentlichkeiten bilden sich, vermischen sich miteinander, verschwinden auch. Und es geht um Beziehungen und Bedeutungen, längst nicht mehr um Produkte und Dienstleistungen. War doch immer so, oder? Eigentlich …

So beweist das Sprichwort „The more things change the more they stay the same“, das uns der weise Jon Bon Jovi und seine schönen Mitarbeiter dankenswerterweise vor einem Jahrzehnt auf den Wogen einer herzerfrischenden Melodie ins Ohr pflanzten, seine immerwährende Gültigkeit tagein, tagaus kaum wo hautnah erlebbarer als im schillernden Business-Kosmos von Medien, Kommunikation und Marketing.

Ging’s in grauer Vorzeit noch darum, den Mitbewohnern im Neandertal davon zu erzählen, dass man zum Beispiel als Erster und Einziger ein Werkzeug namens Keule erfand, mehrere davon anfertigte und nun bereit sei, diese gegen anderes Brauchbares zu tauschen, galt es wenig später, dass konkurrierende Keulenhersteller die Mitbewohner von der unübertroffenen Exzellenz des jeweils eigenen Modells überzeugen mussten. Anfangs gelang das über die Präsentation einiger neuer technischer Keulen-Features (liegt besser in der Hand, hat einen kleineren Schwungradius oder einen größeren Wumms als die anderen). Doch bald war auch das ausgereizt, und Me-too-Produkte mussten den potenziellen Kunden auf anderen Wegen das Made-for-me-Gefühl ins Urmenschen-Herz zaubern. Also kam etwas Neues ins Spiel: Optik und Image des Gadgets. Irgendwann war es dann hauptsächlich eine Frage des Geschmacks, für welches Modell man sich entschied. Vielleicht war das ja der urknallige Augenblick, in dem die Sterne von Marketing, Marke und Brand Story aufgingen?

Allzu viel hat sich seit damals nicht geändert. Auch nicht, was das Urmenschen-Herz betrifft. Und die Keulen? Naja, heißen die jetzt nicht Smartphones? Wenn man sieht, was die Dinger anrichten, spannt sich ein strammer Bogen vom Neandertal ins Silicon Valley, denn ein Smartphone samt twitter-App leistet durchaus ähnliche Dienste. Ein Prügel wie damals, und Jon Bon Jovi tritt an den Bühnenrand:

Ah, is it just me or does anybody see


The new improved tomorrow isn’t what it used to be?

Made for me.

Wann bekommt jemand, wann bekommen du und ich das Gefühl, dass ein Produkt für einen gemacht ist?

Das da passt zu mir. Das ist für mich, ist wie ich.

Das da, nicht das andere da drüben, ist made for me.

Klar spielen Aussehen und Funktion eine Rolle und der Preis naturgemäß auch. Aber wir kaufen ja bekanntlich nicht, was wir brauchen, sondern das, was wir wollen, und dann vor allem das, was wir sein wollen.

Mit unseren Kaufentscheidungen definieren wir uns nämlich zu einem guten Stück selbst. Das ist selbstverständlich herzzerreißend bescheuert und dennoch ein Faktum, mit dem unser Unterbewusstsein den größten Teil der Wirtschaft am Leben hält.

Wir kaufen, was wir sein wollen: Das da hier kauf ich, denn es ist made for me.
Neuerdings entsteht das Image zu einem guten Teil dort, wo klar wird, wofür eine Marke steht, und man darf, unterfüttert vom nötigen Maß an Hoffnung, tatsächlich von einem guten Teil sprechen.

Studien unterschiedlicher Herkunft zeichnen hier ein Bild, über dem ein Schimmer von Zuversicht schwebt. Die Menschen entscheiden sich nämlich in zunehmendem Maße für Produkte von Marken, die einen Beitrag zum gesellschaftlichen Mehrwert leisten. Konsumenten – um diesen ekeligen Terminus zu gebrauchen – kaufen von Unternehmen, die eine positive Haltung zu notwendigen Verbesserungen fürs Wohl der Allgemeinheit haben, diese zeigen und ans Werk schreiten, lieber, als sie bei anderen Unternehmen kaufen.

Borrowed Interest.

Während die Erwartungen an Unternehmen und ihre CEOs in diese Richtung wachsen, schrumpft genau hier das Vertrauen in die Politik, zumal in die Politiker. Kein Zufall, wie ich meine. Vor allem Letzteres nicht, wie vermutlich jeder bestätigen kann, der irgendwann einmal in den letzten Jahren eine Zeitung aufgeschlagen hat.

Diese Quelle des Made for me sprudelt in Krüge, die mit Meaning, Purpose oder Anliegen beschriftet sind. Allerdings stimmt nicht nur „The more things change the more they stay the same“, sondern auch „Der Krug geht zum Munde, bis man bricht“ (obwohl meines Wissens Jon Bon Jovi keinen Ton darüber singt). Konsequent tut man also Marketing-seits das, was man seit Jahrhunderten tut. Durchaus erfolgreich übrigens. Kaum ist etwas en vogue, hängt man sich ran. Nichts Neues, oder? Die Methode hat Methode. Borrowed Interest hat man mal dazu gesagt, oder Image Transfer. Kennt man von Testimonial-Kampagnen, von Superhits in Werbekampagnen, vom Dazustellen bei Großereignissen wie Olympischen Spielen. Meinetwegen. Das ist schon okay, sei’s drum. Popkultur meets Popkultur.

Wenn’s allerdings um substanzielle Themen geht, wie es hier und heute der Fall ist, dann gelten diese Spielregeln nicht, denn es ist ein anderes Spiel. Man instrumentalisiert derlei gesellschaftliche Trends nicht. Man hockt sich dort nicht aufs Trittbrett, surft nicht auf dieser Welle mit und leitet das Gute, das aus der Quelle sprudelt, nicht per Gierschlauch in den eigenen Eimer um. – Sagt man vielleicht deshalb, etwas „… ist im Eimer“?

Denn da ist es zweifellos, wenn nicht schleunigst jene Kräfte, die es ernst & ehrlich meinen, die Oberhand gewinnen und gebündelt den schamlosen Abganiereren ihre Eimer keulengleich um die Ohren knallen. Greenwashing, Meanwashing, Wokewashing, You name it … – Jon Bon Jovi würde singen:

Yesterday keeps comin‘ ‚round, it’s just reality


It’s the same damn song with a different melody


The market keeps on crashin‘

Social Impact.

Was mich in derlei kollektivem Wir-sind-so-gut-Ringelreihen maßlos fasziniert, ist die Profanität, mit der durchaus intelligente Menschen durchaus intelligente Menschen beauftragen, mit durchaus viel Geld und durchaus aufwendigen Kampagnen den immer gleichen Quark zu quaken und sich dabei auch noch einbilden, sie wären erstens die Einzigen, und zweitens würde das irgendwas bringen. Naja, irgendwas bringt’s schon. Zum Beispiel ein Video des YouTubers Microsoft Sam, bei dem er die Corona-„Together“-Machwerke der Megabrand-Genies in ein einziges verpackt. Mit diesem Video ist im Prinzip recht eindeutig erklärt, wovon man ganz grundsätzlich die Finger lässt. Immer!

Hingegen bin ich felsenfest davon überzeugt, dass dieses neue Spiel, in dem einem Unternehmen ein Anliegen tatsächlich ein Anliegen ist, so ziemlich das beste ist, was der Wirtschaft insgesamt widerfahren kann. Das Schöne an diesem Spiel ist nämlich, das es erstens nie aufhört und es zweitens nur Gewinner gibt. Es funktioniert nämlich ausschließlich in einem verwobenen Miteinander, dann aber prächtig.

Das darf den engagierten Unternehmen auch kräftig nützen. Und wie!Warum denn nicht? Aber sie sollen es nicht deshalb tun, sondern deshalb, weil’s Not-wendig ist.

Stell dir vor, Werberäume würden nicht mehr (nur) für Reklame genützt, sondern für Bewusstseinsbildung.

Stell dir vor, aus Zielgruppen würden Gemeinschaften positiver Aktivisten.

Stell dir vor, das, was man Corporate Social Responsibility nennt, würde als Positive Social Impact erlebbar.

Stell dir vor, Mitarbeiter erleben einen neuen Sinn in ihrer Tätigkeit, sogar die Bedeutung ihres Tuns als Teil eines größeren Ganzen.

Stell dir vor …

Stell dir vor …

Stell dir vor …

Die erste Corona-Schockwelle wäre ein idealer Anschub in diese Richtung gewesen. Allerdings war sie zu klein, war der Schock zu klein. Viel zu klein, trotz allem! Doch die Tür ist offen, und immer mehr Unternehmen gehen durch. Viele, weil sie’s wirklich verstanden haben. Viele, weil sie verstanden haben, dass dort drüben die Kunden warten, den Rest aber erst nachlernen und verstehen müssen, bevor sie ganz ankommen. Macht nix, Hauptsache, sie gehen. Bloß die You-name-it-Washer, die bleiben bitte gefälligst dort, wo sie sind.

Dass sich Unternehmen als lernende Organisationen verwandeln, muss man ihnen zugestehen und selbstverständlich auch, dass dies meist nicht von heute auf morgen passieren kann. Aber man muss verlangen, dass es geschieht.

Purpose Relations.

Die Themenfelder – die Wirkungsfelder – sind breit gefächert und bunt wie das Leben selbst. Ein ernstgemeinter positiver Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel muss nämlich bei weitem nicht immer und nur naheliegend dort aufschlagen, wo’s bei Klima, Diversity oder Flüchtlingen brodelt.

Stell dir vor, du trägst in unseren depressiven Zeiten mit deinem Unternehmen etwas zu erfrischender Lebensfreude bei.

Stell dir vor, du hilfst mit deiner Marke, die Begeisterung der Menschen für ihr ur-menschliches Verlangen nach kreativem Schaffen wieder zu wecken.

Stell dir vor, dein Team zaubert Bücherleselust in Smartphone-verpickte Kinderaugen.

Stell dir vor …

Stell dir vor …

Stell dir vor …

Hier würden substanzielle Beziehungen entstehen, Beziehungen mit der Öffentlichkeit, Beziehungen zu den Öffentlichkeiten und Beziehungen untereinander. Die Quelle dafür wäre der Purpose. Es gibt leider kein anderes Wort, auch wenn’s in seiner Misshandlung als Buzzword schon ziemlich zerkaut und zergurgelt ist.

Aus Purpose entstehen Beziehungen. Das wäre einmal eine spektakuläre Verwandlung, wenn Public Relations zu Purpose Relations würden. Purpose Relations – die besten PR überhaupt, weil sie im wahrsten Sinne des (Buzz-)Wortes nachhaltig ist: es wird nicht mehr geerntet als nachwächst. Mit glücklicher Hand betrieben, wächst sogar mehr nach als geerntet wird. Denn wenn die Öffentlichkeiten eine Geschichte untereinander teilen, wächst sie wie ein Schneeball, wie Glück und wie die Liebe. Da hätten wir dann auch eine neue Geschichte – eine New Story. Eine neue, eine bessere Geschichte für uns alle, die von uns allen handelt und unsere Stärken multipliziert, anstatt die Schwächen anderer ausnützt, besiegt und bekämpft.

New Leadership.

Achtung: jetzt kommt die schlechte Nachricht. Wenn sich Public Relations nicht per beherztem Vorwärts-Salto weitestgehend in Purpose Relations verwandeln, verwandeln sie sich per Rückschritt wieder in das, was sie einmal waren: in Propaganda. Richie Sambora stimmt bereits seine Gitarre.

Und wenn wir schon bei Verwandlung sind, wird sich auch der gute alte Marketing-Mix von einem vierblättrigen in einen sechsblättrigen Glücksklee verwandeln. An der Seite von Product, Price, Place und Promotion sprießen nun in sattem Grün People und Purpose. Dazu habe ich hier noch einiges mehr aufgeschrieben.

Ach ja. Die USP, die Unique Selling Proposition, kann sich dem Zauber der Verwandlung ebenfalls nicht entziehen und heißt am besten ab sofort zum Beispiel Unique Selling Purpose oder Unique Sensemaking Purpose oder besser noch Unifying Sensemaking Purpose. Hier gibt’s dazu allerlei zu lesen.

Nun bekommt auch noch die Aufgabe von Anführern in Teams, Unternehmen und Organisationen eine neue, noble Facette, und zwar die des Dolmetsches. Der Boss eines Teams ist nämlich ab sofort nicht mehr der Abteilungsleiter, sondern das gemeinsame Anliegen. Die Anführer sind die Dolmetsche zwischen Anliegen und Teammitgliedern. Sie sind jene, die jeder Einzelnen im Team die Bedeutung ihrer Aufgabe vermitteln. Das ist die Achse, um die sich alles dreht. Dort wird für alle – ob Programmiererin oder Marketingspezialistin, ob Designer oder Verkäuferin, ob Controller oder Servicekraft, ob Reinigungskraft oder Vorstandsassistentin – erlebbar, dass sie Teil von etwas Großem sind. Dort entsteht der Sinn im Team, weil man mit seinem Beitrag eine Aufgabe erfüllt, die einen selbst erfüllt.

Habe ich bereits erwähnt, dass dieser Blog hier der weltweit einzige ist, der die Gedanken seines Publikums lesen kann? Deshalb weiß ich, was du jetzt denkst. Und zwar: „Aber was kann ich allein schon verändern?“ Stimmt’s? Die Antwort darauf weiß zur Abwechslung nicht Jon Bon Jovi mit seinem Team wackerer Gleichgesinnter, sondern Margaret Mead: „Never doubt that a small group of thoughtful, committed citizens can change the world; indeed, it’s the only thing that ever has.“

Purpose Relations machen uns stark – als Menschen, als Teams und als Gesellschaft. Purpose Relations sind die Quelle einer neuen Geschichte, der New Story, die wir in unserer zur Zuvielisation verkrümmten Zivilisation dringend brauchen. Es ist eine neue, eine bessere Geschichte für uns alle, die von uns allen handelt und unsere Stärken multipliziert, anstatt, wie die alte Story, uns auseinanderdividiert.

Ich glaube, das meinte meine Großmutter, die alte Story Dudette, als sie vor vielen Monden als Special Guest der „I’ll sleep when I’m dead“-Tour von Bon Jovi ihre nachtschwarze Fender Telecaster an den Verstärker stopselte und gemeinsam mit der tobenden Menge im Stadion röhrte: „No Story. No Glory.“

 

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