Markus Gull

Mein aktueller Wutanfall.

Dieser Tage in einer Nachrichtensendung im Fernsehen. Ein Experte als Gast im Studio berichtet über Vereinbarungen, die zwischen Regierung und Unternehmen zugunsten von so genannten Konsumenten geschlossen wurden. Daraufhin entspinnt sich folgender Dialog, sinngemäß.

Interviewerin: „Welche Sanktion sind vorgesehen, wenn sich jemand nicht an die Vereinbarungen hält?”
Experte: „Keine.”
Interviewerin: „Warum sollte sich dann jemand an diese Vereinbarung halten, wenn keine Sanktionen vorgesehen sind?“

Ich kann mich an die Antwort des Experten nicht mehr erinnern, jedenfalls war sie nicht die nötige auf so eine unfassbar blöde Frage. Zum Beispiel: „Fällt Ihnen nichts Besseres ein, Madame, als den Zusehern unterm rhetorischen Türspalt ein Unternehmer sind sowieso alle Halunken durchzuschieben?”
Aber ich erinnere mich daran, dass ich einen Wutanfall bekam. – Ja, richtig: Warum soll sich jemand an Vereinbarungen halten, wenn er nicht mit Strafe bedroht wird? Großartige Frage!

Hm …?

Vielleicht, weil es das Wesen einer Vereinbarung ist, dass man sich dran hält?
Vielleicht, weil einem nicht scheißegal ist, was am Ende bei der eigenen Arbeit rauskommt?
Vielleicht, weil Arbeit ein bisschen was mit Teilnahme an der Weltgestaltung zu tun hat und nicht nur mit Lebensleid, das einen von I don’t like Mondays bis Thank God it’s Friday das Dasein verdrießt?
Vielleicht, weil sich Qualität nicht darüber definiert, wozu man gezwungen wird, sondern darüber, dass man sieht, dass es gut ist? Und es gut ist!

Ich habe gelesen, dass etwa 95 Prozent der Menschen mit dem, was sie tun, unzufrieden sind, namentlich mit ihrer Arbeit.
95 Prozent? Das sind praktisch alle!
Dann ist es auch kein Wunder mehr, dass sich in Buchhandlungen die Fächer der Lebensberatungs-Regale genauso schnell mit Literatur zu „Finde deine Bestimmung” füllen, wie entsprechende Services am WorldWideWeb auftauchen.
Die Suche nach dem Sinn bricht sich Bahn. In der Arbeit, also dort, wo wir den größten Teil unserer wachen Zeit verbringen, verläuft sie nämlich offenbar meist ergebnislos.

Warum gut, wenn’s so auch reicht?
Weil’s „eh wurscht” ist, wie man es in Österreich formuliert, weil’s so ja auch geht?
Weil weniger so lange als mehr durchgeht, bis mich jemand dabei erwischt?
Weil’s ja keine Sanktionen gibt.
Fast alle sind unzufrieden mit dem was sie tun, aber trotzdem geht’s uns allen doch gut, oder? Eigentlich, wie an dieser Stelle gerne vermerkt wird.

Das erinnert mich an eine Fernsehserie von Helmut Dietl aus dem Jahre 1979 und ihre Hauptfigur, den erfolglosen Schriftsteller Maximilian Glanz (Towje Kleiner), der ewig an seinem Roman schrieb: „Woran es liegt, dass sich der Einzelne nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht.”
Die Serie heißt „Der ganz normale Wahnsinn.”

Woran es liegt, dass sich der Einzelne an Vereinbarungen hält, obwohl er sonst gar nicht bestraft wird?
Vielleicht daran, dass er den Sinn in seiner Arbeit erkennt?
Vielleicht daran, dass sie versteht, warum sie dieses und jenes tut und wo der wahre Wert darin liegt?
Wenn das geschieht, dann funkelt dahinter meistens eine Brandstory.

Ja, ich kenne keine kraftvolle Marke, kein auf Dauer erfolgreiches Unternehmen, dessen Daseinszweck im Geld verdienen liegt.
Eine Brandstory hat an der Oberfläche eine Menge mit Marketingkommunikation zu tun, tatsächlich entsteht sie viel früher. Eine Brandstory entsteht im Gründungstraum. Dort entstehen Vision und Mission, dort entsteht der Sinn.
Und genau dort entscheidet sich, ob eine Brandstory nach Außen erfolgreich sein kann: im Unternehmen selbst.
 Peter Drucker hat dieses Phänomen in einem schönen Satz beschrieben: „Culture eats strategy for breakfast.” – Und umgekehrt.

Marken und Unternehmen, die klare Werte haben und verstehen, welche Bedeutung sie im Leben ihres Publikums bekommen können, und zwar über den Produktnutzen hinaus, diese Marken haben nicht nur emotional, sondern – fast automatisch – auch wirtschaftlich die Nase vorn. Ich nenne diese Marken Brands with Benefits – Marken, die Sinn und Bedeutung haben, also eine echte Brandstory, nicht nur lustige Werbespots als Ergebnis des handelsüblichen Storytelling-Gequatsches.
Seit über zehn Jahren werden diese Zusammenhänge weltweit untersucht, und das Ergebnis ist eindeutig: Brands with Benefits schlagen andere –… zum Beispiel bei in den KPIs, beim Share of Wallet und an der Börseperformance massiv.
Werte und Sinn ergeben das Warum, mundgerecht serviert in Form von Brandstory. Das ist der Motor fürs Employer Branding, fürs Marketing, das ist das perfekte Führungsinstrument, ja selbst der Kompass für Innovation und Expansion. Die authentische Story eines Unternehmens ist seine DNA und die Quelle seines Erfolges.

Unilever ist weiß Gott keine Company, die fürs Bäume-Umarmen berühmt wurde. Aber man erkannte dort schon vor ein paar Jahren: Die beiden Brands with Benefits, nämlich Dove und Ben & Jerry’s, wachsen doppelt so schnell wie die anderen im Portfolio. Und man rief ein entsprechendes Programm für alle Unilever-Brands ins Leben. „People increasingly care about how the decisions they make affect the world we live in … Brands with a purpose are at the heart of Unilever and we believe that the small choices we all make every day can make a big difference to the world we live in”, sagte Unilever-CMO Keith Weed.

Begleitet von der Hoffnung, dass es nicht bei gut verkaufbaren Kampagnen bleibt, sondern die Haltung des Unternehmens aktiviert und vermutlich auch verändert wird. – Auch das kann Brandstory.

BlackRock ist die größte Investmentfirma der Welt, und es ist von dort kein einziger Fall bekannt, dass die Quartalszahlen bei Vanilletee im Sesselkreis besprochen werden. Allerdings macht ein Brief des BlackRock-Gründers und CEOs Laurence D. Fink kürzlich die Runde, in dem er Corporate America auffordert, mehr zu tun als Shareholder-Value zu generieren, wenn man in Geschäftsbeziehung mit BlackRock stehen will. „Society is demanding that companies, both public and private, serve a social purpose … To prosper over time, every company must not only deliver financial performance, but also show how it makes a positive contribution to society.”

Amen!

Damit sind übrigens nicht Philanthropie und CSR-Projekte gemeint. Das ist auch enorm wichtig aber zu kurz gegriffen.
Was schön langsam mittlerweile große dicke Companys verstehen, wird sich irgendwann auch noch zu allen FernsehjournalistInnen durchsprechen: Unternehmen ohne Sinn sind sinnlos. Schon allein deshalb, weil ihre Mitarbeiter keinen Sinn in ihrer Arbeit erkennen.
Dafür gibt es zwar keine Sanktionen, aber eine strenge Strafe, irgendwann: Misserfolg und Untergang. Und zwar für alle – für dich als Solopreneur, für Weltkonzerne, Megabrands, KMUs oder Startups. Brandstory ist nämlich keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Frage der Haltung.

Wenn du also dein Lebensglück nicht nur im Erzeugen von Shareholder-Value suchst und über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann denke an den Satz, den meine Großmutter, die alte Storydudette seinerzeit mit Milton Friedman’s Nasenblut an die Klo-Wand der New Yorker Börse schrieb: No Story. No Glory.

 

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