Markus Gull

Ein neues Spiel – wer weiß …? oder: Der Goldman-Disclaimer.

Das neue Jahr ist mittlerweile so alt, dass die Ersten schon beginnen, sich aufs nächste zu freuen. Denn eines hat das neue Jahr seinen zahlreichen Vorläufern gleichgetan: es hat nicht von heute auf morgen alles verändert. Der Trost aus der herbstlichen Ansage „2020 haken wir ab, 2021 beginnt das Spiel neu“ trug den Keim der Enttäuschung naturgemäß in sich.

Wenigstens sind Donald Trumps Beiträge zum Alltagslärm fürs Erste mal draußen. Die Lücke, die sie hinterließen, ersetzte sie lückenlos.

Was sonst noch kommt? – Ich stelle als Antwort darauf den Goldman-Disclaimer an den Anfang dieses Jahres, den ich stets auch an den Beginn meiner Workshops und Lectures stelle. Und auch am Beginn meines Buches, das ich mir derzeit heftigst aus dem Herzen presse, wird definitiv der Goldman-Disclaimer stehen. 

Was?!? Du kennst den Goldman-Disclaimer nicht? – Ein untrügliches Zeichen dafür, dass du einen meiner Workshops besuchen solltest. Die nächste öffentliche Gelegenheit dafür gibt’s übrigens am 18. Mai, und zwar hier.


ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

 width=   width=   width=   width=


Den Goldman-Disclaimer benannte ich nach dem legendären Autor William Goldman. Du kennst unter Garantie seine Arbeit in Hollywood. Er bekam Oscars® für die Scripts „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ und „All the President’s Men“, er schrieb unter anderem auch die Drehbücher für „Misery“, „Marathon Man“ oder „A few good Men“. Seine Geschichte „The Princess Bride | Die Brautprinzessin“ ist vielen eine besondere Perle.

Bill Goldman hätte heuer 90 Kerzen auf seiner Geburtstagstorte auszupusten, wäre er noch auf Erden. Als dem noch so war, verfasste er seine Memoiren. In deren ersten Band „Adventures in the Screen Trade“ stellte er fest: „Nobody knows anything. Not one person in the entire motion picture field knows for a certainty what’s going to work. Every time out it’s a guess — and, if you’re lucky, an educated one.“ – Nobody knows anything: der Goldman-Disclaimer.

Wie ist es denn sonst erklärlich, dass laut Setup perfekte Projekte letztlich völlig in die Hose gehen? 

Hast du die aktuelle Verfilmung von „Dr. Dolittle“ gesehen? Oder von „Cats“? Beides Filme, die unter optimalen Bedingungen entstanden – von grandiosen Leading Teams mit riesigen Budgets und mit erstklassigen Schauspielern erschaffen. Dennoch: Medien und Fans haben die Projekte zerfetzt.  

Nach der Besichtigung des letzten „James Bond“ versuchte ich vergeblich, an der Kinokasse meine zwei Stunden zurückzubekommen. 

Über „Dirty Grandpa“ mit Robert De Niro und Zac Efron las ich in einer Besprechung sinngemäß: „… das ist der schlechteste Film, in dem De Niro jemals mitspielte. Besser gesagt: Das ist der schlechteste Film, in dem überhaupt jemals jemand mitspielte …“

Hollywood und Umgebung.

Nachdem wir davon ausgehen dürfen, dass die Beteiligten ihren Job seit ihren letzten Meisterwerken nicht verlernten, gibt’s auf die Frage: „Wie konnte das geschehen?“ nur eine einzige Antwort: „Nobody knows anything.“

Ich widerspreche nicht, sondern weite diese Feststellung über die Grenzen Hollywoods hinaus aus. Keiner weiß, wie’s geht. Auch ich nicht. 

Mehr noch: Unter all den Irrwegen, von denen ich stets schlaumeiere, findet sich kaum einer, den ich nicht selbst, höchstpersönlich und im gestreckten Galopp beschritten hätte, bisweilen sogar wider besseres Wissen. Wäre Homer heute in der Filmindustrie tätig, er würde meine Odyssee als Drehbuch anbieten. Als Sequel zu „Der Listenreiche“ unter umgekehrten Vorzeichen: „He didn’t know anything, außer, wie man sich verrennt“ wäre mal ein erster Vorschlag für den Arbeitstitel und vielleicht was für Netflix.

Zumal in diesen Zeiten, in denen fast alles umbricht, sollten wir mit haftelmacherischer Vorsicht auf alle reagieren, die von sich behaupten, sie wüssten den einzigen richtigen Weg. Das sind meist dieselben, die bei Fehltritten auf diesen Wegen mit einem „Wir haben nichts falsch gemacht!“ zur Stelle sind und mit demselben Finger, mit dem sie uns den rechten Weg wiesen, nun auf die am Irrtum Schuldigen zeigen. Dieses „Wissen, wie’s geht“-Narrativ im Gegenwert eines G’schicht’ls, wie man das im Österreichischen benennt, rinnt zwar wie Honig runter, brennt jedoch am Ende seiner Unverdaulichkeit wie ein Chili con Carne aus der Kasserolle des Teufels. Nichtgenügend, setzen, aber auf was Weiches!

Die Nichtsfalschmacheralleswisser kennen vor allem den kürzesten Weg zwischen kühlem Kopf, kaltem Blut und hartem Herz, das auch mit Phrasen nicht weichgedroschen werden kann. Den kurzen Weg, den haben sie längst hinter sich. Am Rande dort – wir können es aktuell beobachten – liegen Flüchtlingskinder in ihrem Elend, ein bissel von Ratten angeknabbert, während ihnen laut Narrativ vor Ort geholfen wird. Andere werden in das ihre abgeschoben, koste es, was es wolle, weil man diesen kurzen Weg halt rechtskonform und schneidig beschreitet. Wenn Bildung und Herzensbildung keinen Platz im Marschgepäck gefunden haben, übersieht man schon einmal Details wie „humanitäres Bleiberecht“. Umso deutlicher erkennt man allerdings, dass sich Herz und Mördergrube mitunter ähnlicher sind als man meinen möchte, Style und Stil sind hingegen etwas völlig Unterschiedliches.

Die Alleswisser kennen wir – die Älteren unter uns werden sich erinnern – als weissagende Haruspices, die ihre Infos hauptsächlich aus den Eingeweiden ihrer Opfertiere bezogen. Diese Methode wurde für die Anwendung heute insofern optimiert, als dass es sich bei den Opfertieren der amtierenden Auguren meist um dieselben Viecher handelt, aus denen sich auch ihr Publikum zusammensetzt. Eine Meta-Mutation von Herdenimmunität, sozusagen. Oder, um bei Kurt Tucholsky nachzulesen: „Unterschätze nie die Macht dummer Leute, die einer Meinung sind!“

Nobody knows anything.

Sokrates und unsere innere Story.

Vermutlich sind wir gut beraten, wenn wir uns an Sokrates erinnern: „οἶδα οὐδὲν εἰδώς (oîda oudén eidōs).“ Ein Satz, den selbst die Jüngeren unter uns als „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ in lebhafter Erinnerung haben. Die ganz Jungen unter uns erfreuen sich vermutlich am ersten Wort „oîda“ des altgriechischen Zitats, das es in seiner zeitlosen Schönheit bis in die Wiener Alltagssprache und mehrfach vor Gericht schaffte.
Ein Zufall? Was weiß denn ich …?
Nobody knows anything.

Im Grunde geht es ja immer und immer wieder um die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, aus denen sich unsere innere Story zusammenbaut. Sie baut sich aus dem Allerlei zusammen, das wir hören, lesen, sehen, das man uns erzählt, und aus dem, was wir uns daraus zusammensetzen und zusammenreimen. So lernen wir über die Welt, über unsere Welt.

Vielen genügt in dieser Hinsicht, dass sie auf Facebook posten, was sie auf Facebook lernen. Andere spüren große Instafreude über ein Zerrbild als Sharebild. Wieder anderen liegt mehr, wenn sie sich durch irgendwas auf twitter beleidigt fühlen können, um sich durchs Rückbeleidigen der jeweiligen Beleidiger in ihrer Blase aufzublasen. Man möchte das den Tucholsky-Algorithmus nennen, oder den Aufdoppler-Effekt. 

Allen innerhalb und außerhalb von Social Media täte gut, mehr Social und weniger Media ins Leben zu lassen. Dabei hilft, wenn man Verstehen und nicht Antworten zum Ziel des Zuhörens erklärt. Manche sagen Demut dazu. Ein großes Wort, aber es trifft.

Was, wenn wir falsch liegen?

Angeblich verteidigt ja das Menschenskind seine vorgefassten Meinungen umso heftiger, je stärker sie angegriffen werden. Hab’ ich jedenfalls gelesen – vielleicht sogar auf Facebook. Wer Donald Trumps Abschiedserklärung gehört hat, weiß, was gemeint ist.

Irgendwo anders habe ich gelesen, dass Barack Obama am Ende seiner Amtszeit seine Mitarbeiter mit einer eleganten Frage überraschte: „What if we were wrong?“ Das berichtete Ben Rhodes, Top-Berater von Präsident Obama in „The world as it is: a memoire of the Obama White House“. Eine gute Szene, die den Character erklärt, als hätte sie William Goldman sich ausgedacht, und eine gute Story über Geschichte.

Wenn jemals ein Land auf einer Story aufgebaut wurde, dann sicherlich die USA. Genau genommen auf zwei Storys. Welche beiden amerikanischen Storys das sind, erzählte Ben Rhodes vor ziemlich genau zwei Jahren in Berlin.

Gute Geschichten – vor allem auch die eigene, die innere, die nahrhafte – beginnen meist mit einer Frage, oder gar mit einem Hinterfragen bekannter Standpunkte. So können wir von innen heraus wachsen, wie das auch die Bäume tun. Gute Gespräche helfen dabei, und so gesehen könnte Clubhouse durchaus ein vielversprechendes Angebot sein. Oder vielleicht auch nur ein Hype und viel Lärm um nichts?

Willkommen im Club-House.

Kürzlich hörte ich auf Clubhouse einigen Experten eine halbe Stunde lang bei einem Gespräch über Brands & Purpose zu. Die Leute im Panel wussten nichts vom Goldman-Disclaimer und über Brands & Purpose nicht gar so viel, tauschten sich dennoch vor einem ansehnlichen Publikum darüber aus. Danach weinte ich mich in den Schlaf.

Purpose ist ja auch so ein Höllenwort wie Storytelling, Nachhaltigkeit, das Warum, Achtsamkeit und solcherlei. Obwohl, jenseits der geblähten Worthülsen, Purpose eine echte Kraftnahrung für jede Unternehmung wäre – für Companys, Teams, NGOs und alle persönlichen Vorhaben.

Hannes Offenbacher, der listig-wackere Steuermann von Schumbeta, und ich probieren Clubhouse mal aus. Außerdem sind die fantastische Julia Culen, Gründerin der Conscious Consulting Group sowie der großartige Thomas Weber, Herausgeber von Biorama, mit von der Partie. Wir freuen uns, wenn du ebenfalls dabei bist, am Donnerstag, 4. Februar von 19.00 bis 20.00 beim Schumbeta-Clubhouse-Talk zum Thema „Brand Purpose: Green Washing oder Turbo für Innovation?“

Purpose

Wir fragen uns dort unter anderem: Müssen wirklich alle Unternehmen Sinn stiften, damit sie auch morgen noch erfolgreich sind? Und: Gibt es bald den Chief Purpose Officer, oder ist Sinn automatisch ChefInsache?

Hier ist dein All-Access-Bändchen in unseren Clubraum, das dir Einlass gewährt, sofern du ein iPhone und einen Clubhouse-Account hast. Bring your friends & family, bitte teile den Link.

Neues Jahr. Neue Story.

Corona hat allerlei aus dem Kalender gehustet. Den Schumbeta-Summit „No Story, No Glory: Mit Storytelling die Marke stärken und Menschen begeistern.“ zum Beispiel. Dieser Summit, den ich in meiner Lieblingsrolle als Brand-, An- und Unruhestifter inspirierend begleiten darf, ist mittlerweile im März gelandet. Also doch was Erfreuliches heuer, und im Herbst kommt ein neuer „Asterix“! Den kannst du noch nicht vorbestellen, aber für den Schumbeta-Summit solltest du dich gleich hier anmelden. Ich bin guter Dinge, dass die Veranstaltung hygienegesichert im Weichbild des Infektionsgeschehens tatsächlich stattfindet. An ihrem Anfang wird naturgemäß Bill Goldman in seine Rechte treten.

Purpose

„Nobody knows anything.“ – Wenn wir diesen Satz stets im Hinterkopf unseres Herzens eingeschaltet lassen, tun wir uns alle miteinander miteinander leichter, in unserer völlig überhitzten Welt. Das ist sie nämlich – im Weltklima wie im Gesprächsklima gleichermaßen.

Es sind dort immer Geschichten, die wir erzählen – uns selbst und einander. „Alles, was wir hören, ist eine Meinung, keine Tatsache. Alles, was wir sehen, ist eine Perspektive, keine Wahrheit“, sagte uns Marc Aurel dazu, und es sind immer unsere Perspektiven, unsere Geschichten, unsere Werte. Jeder grandiose Superheld taucht gleichzeitig als der ultimative Bösewicht in der Geschichte seines Gegners auf.

Wenn jeder Mensch, jedes Unternehmen, jeder von uns den Goldman-Disclaimer und die Obama-Frage wenigstens für möglich hält, dann wäre doch die Tür zu einer neuen Geschichte für uns alle bereits ein Stück weit offen, oder? Einen Sprung weit, durch den ein bissel ein anderes Licht hereinkommt.

In diesem Licht könnten wir allen anderen positive Signale senden, Zuversichtsimpulse geben und alle anderen dabei unterstützen, dasselbe zu tun. Daraus entstünde womöglich sogar ein Morgen, das das Zeug zu einer neuen, einer besseren Geschichte für uns alle hat, die von uns allen handelt und unsere Stärken multipliziert, anstatt uns, wie die alte Story, auseinanderzudividieren.

Wenn wir das füreinander tun, dann tun wir das gleichzeitig auch für uns selbst. Dann begegnen wir einander jenseits von richtig und falsch, um bei Rumi zu borgen.

Und ich glaube, das meinte meine Großmutter, die alte Story Dudette, die zwar wusste, dass sie nichts weiß, sich aber dennoch einer einzigen Sache unbeugsam sicher war: „No Story. No Glory.“

 

Titelbild: Max Felner on Unsplash

Jetzt teilen

Newsletter Abo