Markus Gull

Eins auf die Fresse? Oder: Warum deine Mitarbeiter dein erstes und wichtigstes Publikum sind.

„Ich lese regelmäßig deine Blogposts und hätte dazu eine Frage: Berätst du auch Unternehmen?” „Ich war kürzlich bei einer Veranstaltung und habe deine Keynote gehört. Das hat mich zum Nachdenken über unsere Werbung gebracht …” „Alle reden darüber, dass man Storytelling braucht – wäre das auch für uns möglich …?” – Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht von einem Unternehmen, das auf der Suche nach so etwas wie seiner Brandstory ist, mit solchen oder ähnlichen Fragen kontaktiert werde. Danke!

Die Auslöser dafür sind vielfältig. Das sind die Top 10, manchmal sogar in Kombination:

  1. Der Digitale Wandel erzeugt für Unternehmen und Marken eine völlig neue Realität im Umgang mit den Kunden. Neue Beziehungen zwischen einer Marke und ihrem Publikum entstehen, oder die Beziehungen verändern sich, nicht zuletzt durch Social Media-Kanäle, die jedes Unternehmen – scheinbar – braucht und will. Für B2B genauso wie für B2C.
  2. Das, was fast 150 Jahre lang funktioniert hat, nämlich Werbung, funktioniert nicht mehr. Schon gar nicht die Störenfried-Werbung, also Adver-Stalking. Die Menschen machen ganz einfach nicht mehr, was Unternehmen wollen. Zu Recht.
  3. In der Führung eines Unternehmens findet ein Generationswechsel statt. Damit kommt neues Denken in die Führungsetagen, oder jedenfalls der Wunsch nach Neuem.
  4. Der Auftritt des Unternehmens ist in die Jahre gekommen und braucht Erfrischung.
  5. Wir brauchen ein paar neue Ideen für unsere Werbespots!
  6. Es fand ein massiver Paradigmenwechsel in der Branche statt – wie etwa bei Automobil, Energie oder bei den Finanzdienstleistungen.
  7. Die Marken-Positionierung funktioniert nicht mehr, oder wurde von einem größeren, stärkeren oder lauteren Mitbewerber gekidnappt.
  8. Die Notwendigkeit zur Produkt- und Dienstleistungs-Innovation wirft plötzlich elementare Identitäts-Fragen auf.
  9. Der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter braucht ein intensives Human Resources-Programm.
  10. Ein Corporate Responsibility-Programm wird gestartet.

Tellst du noch oder sharest du schon?

So unterschiedlich die konkreten Auslöser für die Frage nach einer Brandstory sind, tatsächlich geht es immer um dieselbe Frage: „Wer sind wir?” Im besten Falle lautet die Frage sogar „Wer sind wir, und warum?”  – Hm … Wie findet man die richtige Antwort? Und wo?

Wir lassen hier den gesamten Storytelling-Buzzword-Quatsch unbeachtet und auch das unbedarfte Missverständnis, es ginge bei Storytelling vor allem um originelle Geschichten, mit denen altmodische Werbung am Weg in unsere Brieftaschen auf unseren Nerven herumtrampelt. Mehr dazu gibt’s hier und hier und hier. An dieser Stelle sprechen wir Story Insider über die echte Brandstory, die respektvoll, sinnvoll und wertvoll Marken mit ihrem Publikum verbindet. Hier sprechen wir über unser Lieblingsthema: Story statt Werbung, also über Story-Sharing statt Story-Telling.

Benutzt du das Corporate-Blablarium?

Wenn ich mich mit den Unternehmen treffe, oder bei einem Briefing sitze, dann höre ich zuerst einmal zu. Was erzählen die Unternehmer, die Chefs, die verantwortlichen Mitarbeiter selbst? Was macht die Marke aus, was ist das Erfolgsgeheimnis? Was unterscheidet uns von den anderen, macht uns besonders? Nahezu immer kommen dann folgende Top 10-Aussagen, häufig sogar in Kombination:

  1. Wir sind ein kleines Unternehmen und dadurch sehr flexibel, aber trotzdem auch für große Aufgaben bestens vorbereitet.
  2. Wir sind eines der größten Unternehmen der Branche, aber trotzdem flexibel und auch für kleinere Aufgaben bestens vorbereitet.
  3. Wir sind zwar nicht die Billigsten, aber unser Preis/Leistungs-Verhältnis ist unschlagbar.
  4. Wir sind die Billigsten, aber um diesen Preis gibt’s sonst nirgends diese Top-Qualität.
  5. Wir sind innovativ.
  6. Wir sind fair/umweltbewusst/nachhaltig …
  7. Perfektes, persönliches Service ist für uns selbstverständlich, auch wenn immer einmal etwas schief gehen kann, wir sind ja alle nur Menschen … Apropos:
  8. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. (Der Klassiker! Hört man übrigens auch bei Herstellern von Tier-Nahrung …)
  9. Das Wichtigste sind unsere Mitarbeiter.
  10. Das Wichtigste sind unsere Kunden.

Kommt dir dieser Streifzug durchs Corporate-Blablarium bekannt vor? Dachte ich mir …

Es ist überhaupt nichts falsch an diesen Botschaften. Aber leider auch nichts richtig, wenn du eigenständig und für dein Publikum relevant sein willst. Oder besser noch umgekehrt: für dein Publikum relevant und dadurch eigenständig. Denn in Summe sagen diese scheinbar besonderen Marken-Definitionen nämlich nur: „Uns gibt’s, wir machen unseren Job und wir bemühen uns, keinen Scheiss zu bauen, was meistens gelingt.” – Danke für die Info. Was noch?

Lieber finden oder er-finden?

Die Hoffnung, dass ich für ein Unternehmen nun die echten Antworten finde, also die Brandstory erfinde, diese Hoffnung stirbt nicht zuletzt. Sie hat nie gelebt. Denn eine Brandstory, die von außen ins Unternehmen getragen wird, ist bestenfalls nichts anderes als eine Positionierungsidee aus der Schublade des staubigen Push-Denkens, meistens aber nur eine leidlich gut verkleidete Werbekampagne. Also der Lärm vor der Niederlage.

Eine wirkungsvolle Brandstory muss nämlich zuallererst einmal authentisch sein, sonst können wir sofort die Finger davon lassen. Authentizität kann man nun einmal nicht er-finden, man kann sie nur haben und finden. Auf dieser Reise begleite ich gerne. Meine Arbeit weist gewisse Ähnlichkeiten mit der eines Coaches mit logotherapeutischem Ansatz auf. Ich stelle viele Fragen, es geht um das Warum, es geht um Sinn und es geht um Werte im Unternehmen, denn dort und nur dort finden wir einen der vitalen Lösungswurzel-Äste.

„Authentizität kann man nun einmal nicht er-finden, man kann sie nur haben und finden.“

Die beste Such-Quelle ist der so genannte Gründungstraum. Welche Leidenschaft, welche Idee, welcher Zündfunke leuchtete in den Herzen der Gründer eines Unternehmens und heute in den Herzen seiner Team-Mitglieder, am besten in jedem Mitarbeiter? Wenn Menschen über das sprechen, was sie im positiven Sinne antreibt, über ihre Leidenschaft und Passion, dann leuchtet etwas in ihnen. Dann geht ihr Herz auf, dann funkelt’s im Gehirn – was man mit neurologischen Messmethoden sogar sichtbar machen kann. Dann passiert genau das, was auch passiert, wenn man verliebt ist. Kein Zufall, denn es geht ja um Leidenschaft und um Liebe. Um Liebe zum Leben und zu sich selbst. Das ist es. Wenn bei dir nichts leuchtet, dann sollte dich das zum Nachdenken bringen. Und dann zum Leuchten.

Was treibt dich an?

Ja, an der Oberfläche drängt natürlich jede Unternehmensgründerin der heiße Wunsch nach Selbstständigkeit, jeden Gründer eine faszinierende Produktidee, jedes Startup ein Service, das es so noch nie gab. Doch Produkte sind vergänglich und allzu leicht austauschbar. Jede Innovation wird in Windeseile kopiert, besser oder billiger nachgemacht. Aber den Menschen geht es gar nicht um Produkte.

Es geht um Beziehungen und um Bedeutung, denn das ist nicht imitierbar. Natürlich müssen Preis und Leistung stimmen. Und Menschen, die immer das Billigste kaufen müssen oder wollen, die erreichen wir sowieso nur über das Preisschild, das so klein ist wie’s nur irgendwie geht. Das verlangt zwar auch eine Brandstory, aber auf ganz spezielle Art, und das ist eine andere Geschichte. Wir sprechen hier über alle, die sich nicht über den Preis matchen, sondern Mehrwert erzeugen wollen. Dabei geht es um etwas ganz Anderes. Denk nur an die Preisdifferenz zwischen einem MP3-Player und einem iPod. Wofür bezahlst du ein vielfaches an Apple? Eben: für die Bedeutung! Das macht den Mehrwert aus – Bedeutung und Beziehungen.

Wer oder was ist dein Produkt?

Der Abschied vom Produkt führt aber noch viel weiter weg. Viele der heute mega-erfolgreichen Companies haben nicht einmal Produkte. Facebook, das größte Medium auf Erden, hat kein Produkt – und beschäftigt übrigens auch keinen Journalisten. Airbnb hat kein einziges Hotel, Uber nicht einmal einen Autoschlüssel. Oder Google … Das Produkt sind Beziehungen und Bedeutung. Also, in Tat und Wahrheit sind wir selbst das Produkt, wir und unsere Klicks. Wir und unsere Suche nach Bedeutung und Beziehungen. Damit machen die guten Leute in den genannten Companies eine Menge Geld. Damit werden sie zu den wertvollsten Marken und Unternehmen der Welt und aller Zeiten.

Bei Brandstory geht es also ausschließlich um das Warum und um die Werte einer Marke. Aber viel mehr noch um das Warum und um die Werte des Publikums, die wir parallel zu denen im Unternehmen entdecken müssen. Und jetzt kommt die entscheidende Frage: Wie verbinden sich diese beiden Wertewelten zu einer gemeinsamen? Wo blitzt die gemeinsame Sehnsucht am Horizont auf? Oder, welche Sehnsucht des Publikums kann die Marke erkennen, aktivieren und stillen? Wenn wir das gefunden haben, dann liegt die Brandstory am Tisch. Hurra!

Eins auf die Fresse?

Ich spreche hier aus gutem Grund vom Publikum und nicht von Kunden. Denn die Brandstory muss in allen relevanten Gruppen arbeiten und eine solide, lebendige Beziehung nähren: Public Relations unter neuen Vorzeichen. Die relevanten Gruppen können Kunden sein, zukünftige Kunden oder Lieferanten und Partner, Investoren, Banken, Eigentümervertreter, Aktionäre, die Medien, Nachbarn, Freunde etc. Für alle muss ein und dieselbe Brandstory arbeiten, übersetzt in die jeweilige Beziehungssprache und aus der jeweilige Perspektive betrachtet. Deine erste Publikumsgruppe ist zweifellos dein Team – deine Mitarbeiter und deren Umfeld. Employer Branding ist das Lösungswort.

„Die Brandstory muss in allen relevanten Gruppen arbeiten und eine solide, lebendige Beziehung nähren: Public Relations unter neuen Vorzeichen.“

Der überaus durchschlagskräftige Sportphilosoph Mike Tyson schenkte uns dazu die weisen Worte: „Jeder hat einen Plan, bis er eins auf die Fresse bekommt!” und übersetzte damit ins Alltägliche, was Peter Drucker, der Begründer der höheren Managementlehre, programmatisch so sagte: „Culture eats Strategy for Breakfast.” So ist es. Deine großartige Strategie, die magnetischste Brandstory, die faszinierendste Sehnsucht wird nur verfangen, wenn der Funke deiner Brandstory auf deine Mitarbeiter überspringt.

Welche Botschaft verkündet dein Team?

Deine Mitarbeiter sind in ihrem Alltag ständig im Gespräch, analog und noch mehr digital. Sie sind glaubwürdige Botschafter, Multiplikatoren in jede Richtung. Sie sprechen in ihrem Umfeld begeistert über ihre Arbeit. Oder schlecht. Oder nicht. Sie kommunizieren in jedem Fall, und auch Schweigen ist eine Botschaft. Jedenfalls an dich.

Ganz intensiv betrifft das alle Mitarbeiter, die als offizielle Vertreter deines Unternehmens in ständigem, nahen Kontakt mit deinem Publikum stehen, also die Leute aus Einkauf, Verkauf, Service, Callcenter und ähnlichen Abteilungen. Diese Mitarbeiter brauchen besondere Aufmerksamkeit von Anfang an und müssen rechtzeitig in den Entwicklungsprozess deiner Brandstory eingebunden werden. Das bedeutet nicht, das alle immer mitreden, definitiv nicht. Aber sie sind wesentliche Dialogquellen, und ein ernsthafter Dialog beginnt mit aufmerksamem Zuhören. – Zuhören, damit du verstehst, nicht, damit du antworten kannst.

Deine Mitarbeiter sorgen für die gelebte und im Alltag erlebte Brandstory, also die Brand Experience. Nichts ist glaubwürdiger als das, nichts kann eine Marke unglaubwürdiger machen als Widersprüche zwischen Kommunikation und Erleben. Widme dich deinem Team, denn hier entsteht die nachhaltige Wirkung, die deine Brandstory groß und intensiv macht. Hier setzt der Hebel fürs Umdenken in Story statt Werbung an. Dafür gibt es gute, bewährte Methoden, wie zum Beispiel diese hier.

Übrigens: Wenn du allein dein Team bist, dann gilt das selbstverständlich auch. Brandstory ist nämlich keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Notwendigkeit für erfolgreiche Kommunikation. Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat ein Image, irgendeine Story, steht für etwas, und sei es für nichts. Wenn du also nicht nur über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann involviere die Menschen mit einer für euch beiden relevanten Story und zuerst die, die am nächsten beim Unternehmen stehen.

Allen, die sagen: „Bei meiner Marke geht das nicht!” wird vermutlich die Erfahrung nicht erspart bleiben, dass nicht nur die Weisheit von Mike Tyson groß ist, sondern auch die meiner Großmutter, der alten Story Dudette, auf deren linken Bizeps tätowiert war: „No Story. No Glory.”

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