Markus Gull

Jenseits von Werbung: Content vulgo geiler Scheiß

Der österreichische Horizont brachte kürzlich als Titelgeschichte eine „Debatte um Content Marketing” unter fünf Spezialisten. Content Marketing leuchtet seit einiger Zeit als ein Hoffnungsstrahl am Ende der Werbung-ist-tot-Finsternis und lockt die üblichen Motten an. Und so wird – in dieser erwähnten Debatte und in der Branche – viel & aufgeregt diskutiert.  Die dominierenden Themen lauten, sinngemäß:

  1. Was ist denn das?
  2. Wie verteilen wir Budgets für die beste Wirkung/Reichweite etc.?
  3. Können klassische Werbeagenturen das oder braucht es dafür Spezialisten, die sonst nichts können?

Content Marketing wäre in der Tat die große Chance und könnte die Krise der gesamten Branche substanziell abfedern. Wie so oft geht es um mehr als um ein Umdenken, sondern um die radikale Veränderung einer Haltung, was also erfahrungsgemäß den Keim des Scheiterns bereits in sich trägt. Es geht um die Haltung von Unternehmen und Marken, wie sie in der Kommunikation mit ihrem Publikum umgehen, was sie als Erfolg bezeichnen und wie sie ihn messen.

Was den Menschen an Werbung nämlich so wahnsinnig auf die Nerven geht, ist dieses Stalking. Dass an jeder Ecke jemand lauert und einem ins Gesicht schreit, was man längst weiß oder überhaupt nicht wissen will. Und, dass ständig neue Ecken erfunden werden, hinter die man gelockt wird. Dass aus der guten alten Schleichwerbung grölende Überfallswerbung geworden ist, genährt vom irrigen Glauben, wenn wir nur vielen Menschen oft genug unser Sprücherl aufsagen, werden uns schon ausreichend viele lieben. Facebook testet Unterbrecherwerbung für Videos. Viel Spaß!

Die Kraft von Content Marketing liegt zweifellos nicht im Marketing, worauf sich alle stürzen, sondern im Content. Einer der Diskutanten formulierte es elegant so: „Wenn wir den Markt aufbereiten wollen, dann geht das nur, wenn wir geilen Scheiß umsetzen.” Unterstellen wir einmal das Beste und erinnern uns gleichzeitig an die immer weisen Worte von Howard L. Gossage aus den 60er Jahren des verwichenen Jahrhunderts: „Niemand liest Werbung. Die Menschen lesen, was sie interessiert. Das kann auch Werbung sein.”

Genau darin liegt die Lösung – jenseits von Werbung. Wenn sich Marketingkommunikation nämlich in ihrem Verständnis von Erfolg mit aller Kraft von Reichweite zu Respekt & Relevanz bewegt und dieses sogar noch messbar macht, wird die Welt plötzlich anders aussehen. Und zwar besser. Dann muss sich auch niemand mehr den Kopf darüber zerbrechen wie man sich an Adblockers vorbei schwindeln kann, denn: Wenn man Interessantes zu bieten hat, wird es gesucht und gefunden.

Der Antrieb, die Haltung, kann also keinesfalls sein: „Wie drücke ich meine Kampagne möglichst billig möglichst vielen Menschen aufs Auge?”, sondern einzig: „Was kann ich anbieten, damit möglichst viele Menschen möglichst viel Zeit mit meiner Marke verbringen wollen?” – Time with Brand ist angesagt, nicht Share of Irgendwas.

Was hält uns davon ab, die Dinge richtig zu machen? Geilen Scheiß, sozusagen?

 

Bildhinweis: Tim Pierce – „Holding my breath until I turn invisible“ via flickr.com

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