Markus Gull

Willst du durchs Webb-Teleskop schauen?

Die ersten Bilder, die das James-Webb-Teleskop zu uns schickte, haben mir fast den Atem geraubt. Ist das nicht unfassbar, was wir da – und noch immer nur in Andeutungen – zu sehen bekommen? Was uns alles umgibt, und welche Schönheit sich dabei vor unseren Augen entfaltet!

Und wir verstehen plötzlich, wie groß das Universum ist: eben genau so groß wie unser jeweiliges Teleskop. Das betrifft auch unser eigenes Universum, unser kleines Königreich. Wer ein größeres Bild sehen kann, wer genauer hinsieht als bisher, der erkennt eben auch die Zusammenhänge in einer größeren Dimension, sieht die Ränder anderer Teller und das Leuchten von Sternen jenseits seines Horizonts. 

Man versteht Relationen besser, sie werden zurechtgerückt. 


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Den Homo-Mensura-Satz, zum Beispiel: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Diese ur-alte Geschichte des griechischen Philosophen Protagoras erzählen wir uns seit knapp 2.500 Jahren und missverstehen sie regelmäßig gründlich. Was der Satz wirklich bedeuten kann, habe ich vor vielen Jahren im „Akademischen Wirtshaus“ von Professor Leopold Kohr gelernt, als er von seinem Aha!-Erlebnis dazu erzählte.

„Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ bedeutet nämlich nie und nimmer, dass alles im Universum um uns herum sich an uns auszurichten, uns zu entsprechen, uns zu gehorchen und zu dienen hat. – Spätestens der Blick durchs Webb-Teleskop zeigt jedenfalls, dass das nicht gemeint sein kann. Es geht vielmehr um das menschliche Maß. Alles, was das menschliche Maß übersteigt, ist zu groß.

Professor Kohr, der internationale Wissenschafter aus dem Salzburger „Stille-Nacht“-Städtchen Oberndorf hat diesem Thema seine gesamte Arbeit gewidmet. 1937 war er gleichzeitig mit George Orwell Reporter im Spanischen Bürgerkrieg (in Bürogemeinschaft mit Ernest Hemingway, übrigens). Die beiden philosophierten viel miteinander über die Zukunft von Staaten, Massengesellschaften und deren Überwachung. 1947 machte dann George Orwells „1984“ Furore. 

Dann, 1957, also vor 65 Jahren, erscheint Kohrs zentrales Werk „The Breakdown of Nations“. Das gibt’s unter dem Titel „Das Ende der Großen“ auch auf Deutsch und sollte, wenn du’s nicht kennst, flugs auf deiner Sommerleseliste und dann vor deiner Nase landen. Damit kannst du einen scharfen Blick durchs imaginäre Webb-Teleskop in die Vergangenheit und in eine hoffentlich noch mögliche Zukunft werfen.

Ein Jahr vor dem beredten 1984 erhält Leopold Kohr den als Alternativ-Nobelpreis bekannten Right Livelihood Award „…for his early inspiration of the movement for a human scale“. In seiner Dankesrede warnt Leopold Kohr eindringlich vor den Folgen zentralisierter Gesellschaften, vor ihrem Drang zur Überwachung von allem und jedem, und ruft einmal mehr zur Aufteilung zu groß geratener Strukturen in überschaubare Einheiten auf, zum menschlichen Maß. Bald 40 Jahre ist das her.

Wir sollten die Geschichte „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ dringend neu schreiben, jedenfalls neu betiteln: „Das Menschliche ist das Maß aller Dinge“. Das menschliche Maß, das Überschaubare, das erhält uns gesund an Leib & Seele, das sichert das Überleben unserer Spezies. Oder muss man diesen Satz bereits im Konjunktivus irrealis formulieren? 

Cover Das Ende der Großen und Small is beautiful

In dieser neuen Geschichte geht es keineswegs um Mittelmaß, sondern um Maß und Mitte. Es geht nicht um die Verherrlichung des Schrebergartenhaften und um die Verzwergung unseres Daseins in Sack und Asche, auch wenn Professor Kohr den Satz „Small is beautiful“ seines Freundes Ernest Schumacher ringsum populär machte. 

„Small is beautiful“ meint ja nicht das Kleine an sich, sondern eine Gegensehnsucht zum metastasierenden Ausufern und Auswuchern des Immermehr, zum Immergrößer von allem und jedem ins In-Humane. 

Gerade jetzt, wenn diese neuen, atemberaubenden Bilder eines unvorstellbaren Universums unser Raumschiff Erde erreichen, in dem Wörter wie Einschränkung, Verzicht und Mangel durchs alltägliche Gespräch ziehen, gerade hier und heute sollten wir sehen, was in dieser galaktischen Wundersamkeit auf unserem Stecknadelköpfchen-Planeten namens Erde alles aus dem Ruder läuft. Wie wir auf diesem Planet aus dem Ruder laufen. Der Mensch und sein Unmaß in der Gier nach den Dingen.

Die kritische Größe ist in so vielen Bereichen bereits überschritten, dass wir nicht nur von den Konsequenzen, keine Vorstellung haben, sondern schon gar nicht von den kaskadischen weiteren Folgen unserer Überzeugung, wir seien das Maß aller Dinge. 

Und ich frage mich, ob nicht irgendwo da draußen irgendjemand mit einem viel größeren Teleskop als das Webb-Trumm eines ist, sitzt und uns dabei fassungslos beobachtet, wie wir unsere Spezies gegen die Wand manövrieren, während wir altbekannte Gedanken kluger Menschen in den Wind schlagen. Vielleicht wandert der Blick durch dieses Teleskop von Kohrs „Das Ende der Großen“ über Schumachers „Small is beautiful“ auf das Manuskript der „Zukunftsrede“ von Roger Willemsen, in der es heißt: „Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“

Vielleicht ist das die Einleitung zum letzten Kapitel des Anthropozäns, jener Epoche in der Erdgeschichte, in der nichts so viel Einfluss auf den Zustand unseres Planeten hat wie das, was der Mensch tut und tat? Und nicht tut. 

Möglicherweise ist das jedoch der Übertritt in den nächsten Akt dieser Geschichte, der Beginn des Humanozäns. Jenes Zeitalter, in dem der Mensch zum menschlichen Maß zurückfand und bewies, dass er dank seiner Genialität nicht nur mit einem absurd phantastischen Teleskop ins Universum schauen kann, sondern auch mit einem plötzlich erwachten Blick in sich selbst hinein und sieht, was fehlt und wo’s fehlt.

Dort beginnt eine ganz neue Geschichte, die New Story, die unsere glühend heiße Zivilisation dringend braucht. Es ist eine neue, eine bessere Geschichte für uns alle, die von uns allen handelt, vom richtigen Maß, das uns stark macht, anders als die alte Story, die uns durchs Übermaß erdrückt.

Diese Geschichte handelt von Menschen, von Unternehmen, von Staaten, die gerade noch rechtzeitig verstanden haben, dass der Sinn nicht im Mehr liegt, nicht im Besiegen und Beherrschen, sondern im Beflügeln. Dass Gewinn, Jobs und Karrieren nicht das Ziel für ein erfülltes Dasein sind, sondern Ergebnis einer erfüllten und damit erfüllenden Aufgabe.

Diese Geschichte erzählt über die Helden von morgen: die Mentoren von heute. Menschen, die andere dabei unterstützen, gemeinsame Ziele zu erreichen. Wenn du dich selbst, dein Team, deine Marke und dein Unternehmen dahin verwandeln und als Autor*in deine Neue Geschichte einer besseren Zukunft schreiben möchtest, dann wäre es mir eine Freude, dich als Brandstifter, Anstifter und Unruhestifter – kurz: als Mentor – dabei zu unterstützen. Alles Nötige dazu erfährst du hier und hier.

Ich glaube, daran dachte meine Großmutter, die alte Story Dudette, während sie mit ihrem Kaleidoskop einen hoffnungsfrohen Blick in die Zukunft warf und dabei murmelte: „New Story. New Glory.“

Ich wünsche dir ein prächtiges Wochenende auf unserem schönen Plätzchen im Universum und grüße dich herzlich!

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