Markus Gull

Politik-Story: G’schichterl oder Purpose?

Österreich hat gewählt. Einen Nationalrat, nicht eine Regierung, auch wenn das manche der Kandidaten noch immer nicht unterscheiden können, oder absichtlich verwechseln. Framing halt … Was uns schon mitten ins Thema taucht: In welchem Business sind eigentlich politische Parteien? „Im Politik-Business!”, möchte man reflexartig rufen. Aber reicht das aus, um die Wählerschaft für sich gewinnen und wahren gesellschaftlichen Wandel erreichen zu können? Eher nicht.

Um Leader zu sein, musst du Purpose teilen – als Marke und als politische Partei erst recht. Da ist ja Purpose sogar das Produkt – oder wäre … 


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Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!


Du musst deinem Publikum einen Grund jenseits von Macht & Geld oder Preis & Wert für dein politisches Handeln vermitteln können und gemeinsame Werte ansprechen. So entsteht eine gemeinsame Sehnsucht – also Bedeutung und Beziehung – und Anziehungskraft für deine Marke. 

In der Politik ist diese Sehnsucht das bessere Leben für uns Alle. Was „besseres Leben” bedeutet und welcher Weg dorthin der beste ist, da scheiden sich die Geister, denn nicht jeder Wert ist für jeden gleich wertvoll, bedeutet dasselbe. Hast du aber einmal deinen Purpose gefunden, kannst du dich daran machen, in dein wahres Business einzusteigen.

Die wahlwerbenden Parteien feiern oder betrauern nun die in Prozent gegossene Ernte für ihr (nicht) vorhandenes Storysharing ein. Mit meiner Story-Lupe werfe ich einen Blick auf die Kern-Erzählungen derer, die uns ihre Version eines besseren Lebens verkaufen wollen und schnappe mir den einen oder anderen Aspekt heraus, der auch für uns, die wir nicht in der Politik werken, für uns, unsere Unternehmen und unsere Marken manchen Erkenntnis-Bissen mit Lern-Nährwert liefert.

NEU ist neu und nicht nur anders.

Wenn du NEU und Erneuerung als Gründungs-Kick hast und sogar im Namen deiner Company/Marke trägst, dann gibt das viel vor. Einerseits verpflichtet es dich, mehr zu bieten als nur Veränderung, andrerseits hat das eine Menge Potenzial.

1) NEU ist eine bessere Botschaft als ANDERS, denn Veränderung tut weh, ist mühsam und impliziert, dass ich vorher etwas falsch gemacht habe. Neu ist einfach neu, lässt die Vergangenheit hinter sich und gibt mir eine neue Option. Nicht den mp3-Player verbessern, sondern den iPod erfinden. Keine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, sondern die neue XYZ-Erfolgs-Diät … Das ist dann superwichtig, wenn du selbst neu am Markt bist und also dein Potenzial von anderen Anbietern abziehen musst, sich der Markt aber praktisch nicht erweitert, einmal abgesehen von denen, die altersmäßig nachwachsen.

2) Für Innovation weiß man spätestens seit es Buckminster Fuller sagte: „You never change things by fighting against the existing reality.“ To change something, build a new model that makes the old model obsolete.” Manche Dinge sind eben zu abgetragen, ausgeleiert, out of time. Da braucht’s Neues – zum Beispiel Bildung, Steuersystem, Wirtschaft & Umwelt, Sozialpartnerschaft, Pensionen, Stil und Kultur im Umgang miteinander, offene Gesellschaft … Endet die Liste auch mal?

Das alles bietet enormes Story-Potenzial, was im Markt der politischen Konzepte mehrfach wichtig ist. Denn Kommunikation, Brand Experience und Storysharing – das Aktivieren und Teilen einer gemeinsamen Sehnsucht – gehören hier zum Kerngeschäft. NEUE Inhalte und NEUE Form gehen bei einer Marke wie NEOS Hand in Hand.

Hätte Astrid Lindgren eine Brand Guideline für die NEOS geschrieben, trüge sie den Titel: „Die Kinder aus der Krachmacherstraße”. Freiheit, Fantasie, Frohsinn, Furchtlosigkeit, Flügel – mit F wie Future … 

Der Erkenntnis-Bissen: Wenn du einen starken, eindeutigen Markenkern hast, dann nütze ihn und erzähle alles explizit und implizit aus dieser Perspektive. Alles! Wenn du neu bist, dann sei es und zwar rigoros. Wenn du eine Nischenmarke hast, dann fülle die Nische aus. Sie ist meist größer als man denkt. 

Apple würde sagen: „Think different.” Samsung würde sagen: „Do what you can’t.” Storysharing ist, wenn’s nicht nur beim Sagen bleibt.

Der Story-Motor: Das Monster überwinden.

Auch wenn die Ursachen absolut unerfreulich sind: Wenn es Gewinner aus den aktuellen Umständen unserer Zeit gibt, dann sind das DIE GRÜNEN, was auch ihr fulminantes Comeback unterstrich. Die Nachfrage nach dem Kernprodukt steigt weltweit und es gab ausgerechnet dann eine Neuwahl, wenn man sie am dringendsten braucht. 

In der Welt der Storys gibt es eine erfolgreiche Plot-Struktur, die so alt ist wie das Geschichtenerzählen selbst: Die Überwindung des Monsters. „Beowulf”, „Jurassic Park” oder das gesamte Marvel Universum bauen darauf auf. Eine überlegene, antagonistische Kraft bedroht die Menschheit und muss von deutlich unterlegenen Protagonisten überwunden werden. – Denke nur ich jetzt an die Klimakrise und an DIE GRÜNEN? Oder an Apple, deren Big Brother-Konkurrenz und den „1984”-Launch des Macintosh?

Doch während unsere HeldInnen aus Cupertino, „Der weiße Hai”, oder „Harry Potter” ganz konkrete und angreifbare Monster zu überwinden haben, tun sich Die Grünen seit ihrer Gründung schwer, ihr Monster zu verbildlichen. Das hat sich geändert. Das Feindbild Klimakrise und damit die Nachfrage nach ihrer Kern-Geschichte wird täglich durch alle Medien genährt und für ein breites Publikum (= alle Menschen) relevant. Das Umweltdrama ist – so zynisch das klingen mag – ein strategischer Glücksfall und der (solarbetriebene) Turbolader am Weg zur breiten Volkspartei. 

Der Erkenntnis-Bissen: Wenn du einen starken, eindeutigen Markenkern hast, dann nütze ihn und erzähle alles explizit und implizit aus dieser Perspektive. Alles! Wenn du eine Nischenmarke hast, dann fülle die Nische aus. Sie ist meist größer als man denkt, kann explosionsartig wachsen und dich zum Marktführer machen. Denken wir wieder an Apple und schauen wir Annalena Baerbock & Robert Habeck in Deutschland zu …

Die Grünen haben einen aktuellen Zusatz-Kick für ihren Story-Motor, den sie geschickt nützen: Das Comeback in der Underdog-Story. Das lieben wir in Filmen und Büchern ganz besonders: ob Aschenputtel, Rocky oder Donald Duck, die Oakland A’s aus „Moneyball” oder Eddie Edwards aus „Eddie the Eagle”. Comeback und Underdog-Geschichten erzeugen Empathie – immerhin sind wir in unseren eigenen Lebenserzählungen oft selbst die Unterlegenen und fühlen uns ungerechter Weise ausgeschlossen.

Erstaunlich, was eine Marke aushält.

„Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist”, sagte FPÖ-Hofer einst. Darüber wundert sich schon längst niemand mehr. Allerdings wundere ich mich darüber, was Marken aushalten. Manche Marken verschwinden nämlich nach Skandalen wie z.B. News of the World. Anderen scheint nichts etwas anhaben zu können wie VW – eine Marke, die für Vertrauen steht und seit Jahren wegen des Gegenteils in aller Munde ist. Die Marke FPÖ ist ein ähnlicher Sonderfall, denn nach menschlichem Ermessen dürfte nach der Serie an Skandalen, die sich direkt gegen ihren selbst erzählten Markenkern als Vertreter der kleinen, anständigen Leute richtet, nicht mehr viel übrig sein. Würde Katja Ebstein ein Lied über das Wahlergebnis der FPÖ singen, es hieße: „Wunder gibt es immer wieder”. – Woran das liegen mag?

Vielleicht daran, dass es die FPÖ über Jahrzehnte hinweg perfektioniert hat, ein Kern-Narrativ in den Mittelpunkt all ihrer Storys zu pflanzen: „Wir – und damit alle Menschen, die sich uns zugehörig fühlen – gegen die da oben, die bösen Eliten.” Oder gegen die da draußen. Oder gegen die Presse, das Establishment etc. Die Liste lässt sich für jeden einzelnen Opfer-Mythos beliebig lang fortsetzen, und auch wenige Stunden nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos” inszenierte sich die Partei bereits konsequent als Opfer eines Angriffs von außen. – Wir gegen … Oder viel mehr noch: Die da gegen uns …

Es gibt drei Basis-Framings des Politikverständnisses:
a) Politik hat neutral, Regeln für alle Gruppen einer Gesellschaft zu entwickeln.
b) Politik hat den schwächsten Gruppen zu helfen.
c) Politik hat meiner Gruppe zu helfen.
Die FPÖ bedient immer C. Immer.

Ihre zentralen Wertvorstellungen und der Grund, auf dem sich ihre politische Existenz begründet, werden derartig konsistent gestreut, dass ihr Wie und Was nahezu vollkommen egal sind. Ihr Warum aktiviert offenbar bei sehr vielen Menschen ganz tief sitzende Reflexe und Instinkte und überdauert so jeden Skandal, der für andere Parteien den sofortigen Tod bedeuten würde. 

Der Erkenntnis-Bissen: Simon Sinek hat immer und auch hier wieder einmal Recht, weil Werte eben wertneutral sind. Für Marken – egal welcher Branche – gilt: Jeder Antagonist ist der Protagonist in der eigenen Story. Werte und Tugenden sind nicht dasselbe, Strategie und Taktik ebenfalls nicht und Emotion ist nicht Instinkt – auch wenn das konsequente Verwechseln der Begriffe manchmal den Eindruck erwecken kann …

Brandstorys brauchen Updates & Upgrades

Manchmal verlieren Marken ihre Relevanz. Nicht, weil sie irrelevant werden, sondern weil sie es nicht schaffen, ihre Story so neu zu interpretieren, dass sie im Wandel der Zeit relevant bleibt. Oft geht das Hand in Hand mit dem Verlust von Innovationskraft und eine teuflische Abwärtsspirale dreht sich, andere schlagen dich mit (d)einer relevanteren Story in deinem Kern-Geschäft. Denken wir an Kodak, BlackBerry, Abercrombie & Fitch. Und denken wir an Apple, weil damit die Hoffnung lebt, dass sich dieser Trend auch umdrehen lässt. 

Ach, Hoffnung … ja …!  – Jyn Erso sagte in „Star Wars: Rogue One” den schönen Satz: „Rebellions are built on hope.” – Geht es darum nicht auch bei Politik? Um die Hoffnung, dass es morgen besser sein wird als heute? 

Damit sind wir bei der SPÖ und ihrem stotternden Story-Motor, der im Prinzip alles hat, um eine – naturgemäß – wachsende Gegensehnsucht in der Gesellschaft zu bedienen: Miteinander & Solidarität + allem, was man dort seit vielen Jahren mit Gerechtigkeit verwechselt. Dieser Story-Motor brummt im Prinzip so stark, dass er in der Geschichte seiner Laufzeit Revolutionen auslöste, aber irgendwie kommen heute die PS nicht mehr auf die Straße, obwohl sogar eine Sympathie-Granate am Steuer der Karre sitzt. Manche Konzerne sprechen noch immer übers Auto, andere haben mittlerweile verstanden, dass es dabei schon immer um Mobilität und Freiheit gegangen ist …

Der Erkenntnis-Bissen: Wenn du versäumst, deinem Story-Motor das nötige Upgrade zu verpassen, dann hilft irgendwann nicht mehr Verbesserung, dann brauchst du eine völlig neue Option, siehe Apple im Jahre 1997. Die Story – das Anliegen, der Purpose – war damals nach wie vor dieselbe wie bei der Gründung: die Kreativität der Menschen mithilfe von Technologie entfesseln. Aber die Interpretation in Produkt und Erzählung waren ein komplett neues Angebot.

Halte die Story deiner Marke lebendig und vergiss nie: die Hoffnung stirbt nicht zuletzt, sondern lebt zuerst. Sie keimt im Inneren deines Unternehmens und verwandelt sich von dort zur Seele der Marke. Denn Peter Drucker wird bis ans Ende aller Zeiten Recht behalten: „Culture eats strategy for breakfast!” 

Story ist, was vor „neu” und „Ich” käme.

Wenn die Theorie stimmt, dass eine echte Story neben einem Hauptdarsteller auch eine Handlung braucht, dann geht’s in der türkisen Geschichte um alles, nur nicht um Story. Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinn. Was das Story-Telling, also die Handwerkskunst betrifft – Narrative, Framings und Erzählkunst – findet man in dieser Kampagne allerdings einiges an Beachtenswertem. 

Wer zum Beispiel wissen will, wie man Spin erzeugt, Themen setzt (bzw. ein – wie man in Österreich sagt – G’schichterl inszeniert) oder das Thema eines Konkurrenten zum eigenen macht und in einer neuen Verpackung dessen Erfolg sogar übertrifft, der findet hier viel Lernwert.

Oder, wer wissen will, wie man handwerklich gut eine Bewegung anstößt – und das sollte jede Marke wissen –, der wurde seit 2017 durch die Neue Volkspartei bestens ausgebildet. Apropos Neu: Wenn du „Neu” als wesentlich Säule deiner Erzählung aufstellst, dann kannst du dir ausrechnen, wann diese Säule einknickt. Neu ist nämlich ein Krankheitsbild, das dem der Jugend und dem der Mode gleicht: es bessert sich täglich.

Und wer wissen will, was mit einer Marke geschieht, die nur aus der Form lebt, muss sich noch ein wenig gedulden, denn dieses türkise Kapitel wird erst geschrieben. 

PolitikerInnen müssen die Leuchttürme sein, die uns den Weg weisen, Projektoren und nicht Projektionsflächen, denn wir Menschen sind stets auf der Suche nach Werte-Orientierung und Zugehörigkeit.

Der Erkenntnis-Bissen: Form follows Function. Wenn in einer (Politik-)Markenstory keine nachhaltigen Werte erlebbar sind, die für alle relevanten Publikumsgruppen, Aufgabenstellungen und Themenlagen langfristig übersetzbar sind, hast du eine Camouflage-Brand, eine Potemkinsche Marke, aber keine Story. Du kannst erzählen, aber nicht teilen. Deine Marke lebt aus ihrer Darstellung. Das kann eine Zeit lang sehr gut und erfolgreich laufen. Das hat über viele Jahrzehnte funktioniert – denken wir nur an die goldene Zeit der Reklame und der Werbung – heute ist das nichts als der Lärm vor der Niederlage. Und das Märchen vom „Hans im Glück” hat, im Gegensatz zur Version der Brüder Grimm, im wirklichen Leben auch einen Retourgang.

 

Jeder Mensch, aber auch jedes Unternehmen – egal ob Weltkonzern, ob KMU (kleine und mittlere Unternehmen) –, jede Organisation braucht Purpose, das Anliegen, eine große gemeinsame  Wahrheit und ihre dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht.

Und jeder Mensch, jedes Unternehmen kann so und nur so Relevanz gewinnen und Resonanz erzeugen, auch wenn es in Zeiten von Wahlkampf oft ganz anders aussieht und mitunter auch ganz anders wirkt.

Allen, die sagen: „Für mich oder für meine Marke gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, beim Sturm auf die Bastille ausrief: „No Story. No Glory.“

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